Selbstverteidigung als völkerrechtlich begründeter Schutz eines Staates ist gerade aufgrund aktueller Kriege und bewaffneter Konflikte immer wieder Streitgegenstand.
Selbstverteidigung gemäß UNO-Charta Artikel 51
In Kriegen und bewaffneten Konflikten spielte das Recht auf Selbstverteidigung immer eine herausragende Rolle. Carl v. Clausewitz arbeitete in seinem Werk „Vom Kriege“ heraus, dass der Krieg „nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln“ ist. Damit eine solche Politik möglichst nicht als Aggression verstanden wird, versuchten Politiker und Medien häufig Krieg als Selbstverteidigung moralisch zu rechtfertigen.
Unter welchen Bedingungen eine „Selbstverteidigung“ als legitimes Recht anerkannt werden kann, war insbesondere aufgrund der Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Schließlich einigten sich die UNO-Mitglieder in Artikel 51 der UN-Charta:
„Artikel 51
Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffskrieges gegen ein Mitglied der Erneuerten Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechtes trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält.“
(Zum historischen Hintergrund dieser völkerrechtlichen Vereinbarung siehe auch den kurzen Abriss von Scott Ritter.)
Israel beansprucht das Recht auf Selbstverteidigung im Gazastreifen
„Im allgemeinen Sprachgebrauch könnte ‚Selbstverteidigung‘ als das Recht verstanden werden, sich selbst zu schützen. In Artikel 51 der UN-Charta, auf den sich Israel beruft, geht es aber nicht nur um das Recht, sich selbst zu schützen. ‚Selbstverteidigung‘ im Völkerrecht ist ein juristischer Kunstbegriff und meint das Recht, Krieg zu führen, das Israel nicht hat. Das ist eine gefestigte Rechtsprechung des höchsten Rechtsorgans der Vereinten Nationen …Das Recht auf Selbstverteidigung kann also in Anspruch genommen werden, wenn ein Staat von einem anderen Staat bedroht wird, was nicht der Fall ist. Israel hat nicht behauptet, von einem anderen Staat bedroht zu werden. Es wird von einer bewaffneten Gruppe bedroht, wie immer man sie bezeichnen will, aber es ist eine bewaffnete Gruppe innerhalb des besetzten Gebietes. Und offen gesagt ist es sogar falsch zu sagen, dass es sich um eien Krieg zwischen dem Gazastreifen und Israel handelt, denn der Gazastreifen ist keine unabhängige Einheit, sondern Teil eines besetzten Gebietes.Vor allem aber kann Israel nicht das Recht auf Selbstverteidigung gegen eine Bedrohung beanspruchen, die von einem Gebiet ausgeht, das es besetzt hält, von einem Gebiet, das unter kriegerischer Besatzung steht.Und das gibt es nicht nur in der Rechtsprechung des IGH im Allgemeinen, sondern es wurde auch im Fall der besetzten palästinensischen Gebiete gesagt.“
Siehe auch: Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zur israelischen Mauer, 09.07.2004
Selbstverteidigung zur Rechtfertigung des I. und II. Weltkriegs
Aussagen von Politikern oder in Medien zur Rechtfertigung von Kriegen haben eine lange Geschichte. Seit es Kriege gibt wird diese Rechtfertigung immer wieder herangezogen. Beispielhaft sei hier nur erinnert an:
- die Rede Kaiser Wilhelm II. vom 06. August 1914 zum Beginn des I. Weltkiregs:
„So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Nun auf zu den Waffen!“
- die Reichstagsrede Adolf Hitlers am 01. September 1939, dem ersten Tag des II. Weltkriegs:
„Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten!“
- die „Tonking-Resolution“ des US-Kongresses vom 10. August 1964 zur Rechtfertigung der „ernsthaften Bedrohung des Weltfriedens“ durch vermeintliche Angriffe von US-Kriegsschiffen durch Marineeinheiten der Demokratischen Republik Vietnam
- die Rede des US-Außenministers Colin Powell am 5. Februar 2003 zur Begründung für „den längst beschlossenen Krieg der Regierung Bush gegen den Irak“
Dr. Daniele Ganser, Schweizer Historiker und Friedensforscher, erläutert das mit der Gründung der UNO vereinbarte weltweite Kriegsverbot. Die UN-Charta lässt nur in zwei Ausnahmen sind kriegerische Maßnahmen zu (Selbstverteidigung oder Mandat des UNO-Sicherheitsrats). „Die Realität ist jedoch eine ganz andere. Dieses Buch beschreibt, wie in Vergangenheit und Gegenwart illegale Kriege geführt werden. Es zeigt, wie die Regeln der UNO und vor allem das Kriegsverbot gezielt sabotiert wurden und welch unrühmliche Rolle hierbei die Länder der NATO spielen. Es ist ein Buch von beklemmender Aktualität.“
Siehe auch: „Bundesregierung weiter gegen Waffenstillstand in Gaza und mit gewagter Interpretation des Völkerrechts“, (nachdenkseiten.de, 29. 11. 2023)