März 20, 2022

Doppelmoral in USA und NATO

Wie du mir

Zur Vorgeschichte des russischen Einmarsches in die Ukraine gehört auch eine massive Eskalation des Westens durch die Arbeit an biologischen Waffen. Teil 3/3.

von Flo Osrainik

Mit Russlands direktem Eingriff in den Ukrainekrieg oder dem Angriff auf die Ukraine explodiert das Imperium der Heuchelei jetzt endgültig und setzt ein Virus hemmungsloser Russophobie frei, das im Westblock der doppelten Standards für doppelte Apartheid sorgt. Gebrodelt hat es ja schon lange. Dass die russische Regierung nun doch nach Kiew marschieren lässt, ist dabei so einiges mehr als „nur“ ein Bruderkrieg. Über das, was ist, und wie es dazu kam. Ein Kommentar von Flo Osrainik, dem Autor des Spiegel-Bestsellers „Das Corona-Dossier“.

Eigentlich

Der Kosovo-Krieg der Nato-Staaten zur Abspaltung des Kosovos von Serbien war unbestritten ein Völkerrechtsbruch des Westblocks. Und das mitten in Europa. Natürlich gab es auch damals Anti-Kriegs-Demonstrationen und kritische Stimmen. Vielmehr auch nicht.

Gegründet wurde die „North Atlantic Treaty Organization“, kurz Nato, am 4. April 1949. Und zwar nicht, um Kriege wie gegen das ehemalige Jugoslawien zu führen oder sich in die Angelegenheiten anderer Staaten wie der Ukraine einzumischen, sondern von zwölf Ländern „zur kollektiven Selbstverteidigung“, da die Spannungen zwischen den alliierten Siegermächten, zwischen Ost und West nach dem Zweiten Weltkrieg zunahmen. Von Angreifen war keine Rede.

Im Laufe der Jahre nahm die Nato dann immer mehr Staaten auf. Im Jahr der Aufnahme Deutschlands, genau genommen 1955, gründete sich dann auch ein anderes Bündnis zur Selbstverteidigung: der Warschauer Pakt mit insgesamt acht Mitgliedsstaaten einschließlich der Sowjetunion sowie der DDR. Und mehr wurden es auch nicht.

Durch die von Sowjetchef Michail Gorbatschow eingeleitet Perestroika, den Fall des Eisernen Vorhangs und die friedliche sowjetische Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 — man entließ die Nationale Volksarmee der DDR aus dem Warschauer Pakt — sollte Moskau dem Druck der anderen Mitgliedsstaaten zur Auflösung des Warschauer Pakts bald nachkommen.

Es wurde allerdings auch eine Auflösung der Nato gefordert. Auf der blockübergreifenden Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) im November 1990 in Paris bekräftigten die Staaten des Warschauer Pakts und der Nato ihre Verpflichtung zum Nichtangriff. Man definierte sich nicht länger als Gegner, sondern als Partner, die nun gewillt sind, „einander die Hand zur Freundschaft zu reichen“. Die Initiative dazu ging immerhin von den Vertragsstaaten des Warschauer Pakts aus.

Mit der Charta von Paris, dem Schlussdokument des KSZE-Sondergipfels, wurde die Spaltung Europas für beendet erklärt. Die Präambel der Charta von Paris beginnt mit den Worten:

„Wir, die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sind in einer Zeit tiefgreifenden Wandels und historischer Erwartungen in Paris zusammengetreten. Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden.“

Außerdem sprachen sich die Teilnehmer aus 32 europäischen Ländern sowie der USA und Kanadas in Paris noch für Demokratie, Frieden und Einheit sowie für „wirtschaftliche Freiheit“, „soziale Gerechtigkeit“ und „gleiche Sicherheit für alle unsere Länder“ aus.

Die Sowjetunion stimmte Deutschlands Wiedervereinigung zu. Und damit auch dem Anfang vom Ende des Warschauer Pakts. Und das ohne Gewalt.

Man ging davon aus, dass der reduzierte Sowjet-Einfluss in Mitteleuropa durch in Aussicht gestellte neue Formen der Zusammenarbeit mit dem vereinten Deutschland von einer „neuen Qualität“ im deutsch-sowjetischen Verhältnis ausgeglichen würde. Es war übrigens die britische Regierung von Margaret Thatcher, die eine Wiedervereinigung Deutschlands blockierte, um militärische Manöver in Ostdeutschland abhalten zu können.

Auf Drängen des westdeutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher stimmte dessen US-Amtskollege James Baker die Briten dann um. Mit dem „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ beschlossen die Siegermächte Frankreich, Sowjetunion, Großbritannien und die USA, auf ihr Vorbehaltsrecht in Bezug auf Deutschland zu verzichten.

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde im Jahr 1991 von den Vertragsstaaten anerkannt. Mit dem Vertrag, der das Ende alliierter Hoheitsrechte vorsah, würde Deutschland die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten erlangen. Außerdem bekräftigte Deutschland sein Bekenntnis zum Frieden. Unter anderem wären die deutschen Streitkräfte auf 370.000 Mann zu reduzieren und in Ostdeutschland dürften keine ausländischen Truppen oder Atomwaffen stationiert werden.

„Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik erklären, daß das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen.“

Hier hätte die Geschichte der Nato also enden können. Oder müssen.

Stattdessen verstießen die Nato-Staaten, auch Deutschland, nur ein paar Jahre später, eben im Kosovo, gegen die gemachten Zusagen. Die Vereinbarungen des KSZE-Treffens von Paris waren das Papier schon nicht mehr wert. Der erste Nato-Generalsekretär, der britische Politiker und General Hastings Ismay erklärte schließlich schon früh den eigentlichen Zweck des transatlantischen Bündnisses. Und der lautete für Europa: „die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten“ — im Original: „to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down“ — zu halten, was seit dem 24. Februar 2022 besonders erfolgreich klappt (1).

Nun war die Nato bis Anfang der 1990-er Jahre offiziell ein Defensivbündnis. Und der Feind, der Warschauer Pakt, nach seiner Auflösung im Mai 1991 sowie die Sowjetunion im Dezember 1991 verschwunden. Einfach so. Ohne einen Schuss. Die Daseinsberechtigung der Nato war weg, der Kalte Krieg beendet, das Militärbündnis nicht mehr nötig. Um die Probleme der Welt hätten sich ab jetzt ausschließlich die Vereinten Nationen mit ihren Blauhelmen auf Grundlage des Völkerrechts kümmern können. Eigentlich.

Aber wie sollten die USA, der Anführer des Westblocks in Zukunft die gigantischen Militärausgaben rechtfertigen? Wie die restliche Welt mit ihren Märkten, wie die Kulturen und Köpfe der Menschen dort erobern? Etwa mit Abrüstung? Mit Respekt und Gleichberechtigung vielleicht?

Um die Geschichte zu beschleunigen: „Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs setzte die Nato auf Expansion. In schneller Folge wurden vor allem Staaten des ehemaligen Ostblocks aufgenommen“, fasst das Bundesverteidigungsministerium zusammen. Im Jahr 1999 kamen Polen, Tschechien und Ungarn, im Jahr 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien, im Jahr 2009 Albanien und Kroatien, im Juni 2017 Montenegro und im Jahr 2020 noch Nordmazedonien dazu. Sogar Kolumbien wurde als globaler Partner aufgenommen. Und die Ukraine wollte man ja auch noch haben, weshalb es in Europa seit dem Jahr 2014 wieder Krieg gab.

Zu Versuchen, Serbien in die Nato aufzunehmen, hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić erst im März 2022 auf einer Wahlkampfveranstaltung im Dorf Busije geantwortet, „dass wir der Nato nicht beitreten müssen, weil wir unsere eigene Armee haben, die unser Land und unseren Himmel verteidigt. Nicht weit von hier wurde Milica Rakić (ein zweieinhalb Jahre altes Mädchen, das bei einem Nato-Bombenanschlag ums Leben kam) getötet. Bald jährt sich die Aggression und wir werden nicht zögern, sie als Aggression und nicht als Intervention oder Kampagne zu bezeichnen.“ Weiter sagte Vučić über die grassierende Russophobie:

„Es ist sehr wichtig, Frieden und Stabilität zu erhalten. Ich werde nicht einmal über den politischen Druck sprechen, ich weiß, dass Sie ihn auch spüren. Die ganze Welt wird von Hysterie beherrscht, aber Serbien wird Tschaikowski (einen russischen Komponisten) niemals verbieten.“

Mit der Osterweiterung verstieß die Nato zwar gegen keine schriftlichen Verträge. Aber sehr wohl gegen gemachte Zusage. Nämlich dass man sich „keinen Zoll“ nach Osten ausdehnen wolle, wie ein vom US-Außenministerium verfasstes Protokoll eines Gesprächs zwischen US-Außenminister James Baker und Gorbatschow bestätigt.

Und in einem Transkript einer Unterhaltung zwischen Baker mit seinem sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse sprach sich der US-Diplomat dafür aus, dass ein wiedervereinigtes Deutschland der Nato angehören sollte. Um die sowjetische Zustimmung dafür zu bekommen, müsse es „natürlich eine eiserne Garantie geben“, dass sich die Nato eben nicht weiter nach Osten ausdehnt. Nur: Die Nato marschierte weder einer Auflösung noch dem Weltfrieden entgegen, sondern vom Krieg in Jugoslawien zum Krieg in Libyen, von der Konfrontation im Ukraine-Putsch zur Konfrontation durch das Raketenschild um und auf Russland und direkt an die russischen Grenzen. Dort steht das Bündnis schuss- und marschbereit.

Um die Russen also aus Europa herauszuhalten, obwohl Russland flächenmäßig den größten Teil Europas ausmacht, gibt es Hilfe für die Nato. Zum Beispiel von den Medien. Nicht nur vom Springer-Konzern, der sich ja schon in seinen Unternehmensgrundsätzen zur Solidarität gegenüber den USA und Israel verpflichtet. Wie dabei unabhängiger Journalismus funktionieren soll, bleibt dann der Fantasie des Einzelnen überlassen. So wie man auch im deutschen Staatsfunk hin und wieder fantasiert. Besonders wenn es gegen Russland geht.

Ein Beispiel lieferte dabei der hoch bezahlte ZDF-Chef-Moderator Claus Kleber, Mitglied des deutsch-amerikanischen Aspen-Instituts und Mitglied der Atlantik-Brücke. Verkündete er im April 2019 doch mit ernster Miene und staatstragend live im ZDF-heute-Journal den Kriegsbeginn der Nato mit Russland:

„Guten Abend, zu Wasser und zu Luft sind heute Nacht amerikanische, deutsche und andere europäische Verbündete unterwegs nach Estland, um die russischen Verbände zurückzuschlagen.“

Bloß war hier vermutlich der Wunsch der Vater des Gedankens, denn dem war so nicht. Außerdem gab es ja schon genügend völkerrechtswidrige Nato-Kriege. Echte Kriege. Trotzdem: Selbst Regionalblätter wie die Schwäbische Zeitung fühlen sich berufen und betreiben, etwa zum Geburtstag des Atlantik-Paktes Westblock-Propaganda. Die Nato hätte sich nämlich „immer wieder den weltpolitischen Entwicklungen angepasst“ und „nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Rolle als Weltpolizist im Kosovo, in Afghanistan und im Kampf gegen den ‚Islamischen Staat‘ gefunden.“ Und das sogar ohne den Hauch einer demokratischen Legitimation der Völker.

Wie der Nato das Völkerrecht weichen musste, beschrieb Die Zeit im April 2019 unter „Die Chefs kommen nicht zur Party“ ungefähr so:

„Er (ein neuer Feind) wurde bald im zerfallenden Jugoslawien ausgemacht, wo der serbische Herrscher Slobodan Milošević erst Bosnien und später Kosovo zerrüttete. Die Nato griff in beiden Fällen ein. Danach verging nicht viel Zeit, und die Allianz musste zum ersten Mal den Artikel 5 aufrufen: die heilige Beistandsverpflichtung. Als Osama bin Ladens Selbstmordattentäter 2001 die USA angriffen, fand das Bündnis neuen Sinn im Krieg gegen den Terrorismus. Es begann der längste Nato-Einsatz der Geschichte; einige Nato-Länder, darunter Deutschland, stehen heute noch in Afghanistan. Den Kampf gegen den sogenannten ‚Islamischen Staat‘ in Syrien, zu dem die Nato beitrug, kann man als Fortsetzung sehen.“

Und, so der Zeit-Kolumnist Michael Thumann die Geschichte dann noch weiter verdrehend:

„Putin besetzte mit seinen Truppen erhebliche Teile der Ukraine. Die russische Krim-Annexion erschütterte die Ordnung der Pariser Charta von 1990. Wladimir Putin möchte diese Ordnung revidieren und erkennt viele Verträge nicht mehr an. Seit 2014 findet die Nato ihren Daseinszweck wieder in Europa. Niemand hat mehr dafür getan als Wladimir Putin. Er hat neue nukleare Marschflugkörper stationiert, die auf europäische Hauptstädte zielen. Jahr um Jahr lässt er seine Armee Angriffe auf Nato-Territorium üben“ (2).

Wirklich? Wurde die Pariser Charta erst mit der vermeintlichen „Krim-Annexion erschüttert“? Und woher wissen Besserwisser wie ein Thumann, was andere wollen, ohne sie danach gefragt zu haben? Hätte es nicht außerdem heißen müssen: „Russland erkennt Verträge auch nicht mehr an“, nachdem diese von den USA — wie etwa der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland — abgeschlossen mit der Sowjetunion — über nukleare Mittelstreckenraketensysteme oder im Juni 2002 der ABM-Vertrag zur Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland — abgeschlossen mit der Sowjetunion — außer Kraft gesetzt, also einseitig gekündigt wurden? Oder war die Stationierung von russischen Marschflugkörpern nicht die Antwort auf das zuvor errichtete Nato-Raketenschild unweit von Moskau in Richtung Moskau? Oder lässt ein Thumann auch doppelte Standards einfach so gegen sich gelten?

Doppelte Standards

Nun gut, dann schauen wir eben genauer hin und zurück. Das Bundesverteidigungsministerium zur neuen Nato:

„Seit 1992 sind auch sogenannte Out of Area-Einsätze außerhalb des eigenen Territoriums möglich; seit den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 kämpft das Bündnis weltweit gegen den Terrorismus.“

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, „9/11“, gestanden die Vereinten Nationen den USA mit der Resolution 1368 zwar das Recht auf Selbstverteidigung gemäß der UN-Charta zu, was man den USA aber ganz und gar nicht zubilligte, war das Recht, einen Angriffskrieg gegen das UN-Mitglied Afghanistan zu beginnen. Auch wenn dort das Regime der Taliban an der Macht war und es heute mit einem Arsenal an westlichen Waffensystemen wieder ist. Und zwar im ganzen Land. Wie das von heute auf morgen dazu kommen konnte, ist aber auch eine andere Geschichte.

Dem Angriff auf die Taliban unter US-Präsident George W. Bush lag ja die Version zugrunde, dass der ideologische Anführer von al-Qaida, Osama (Usama) bin Laden, teilweise von Afghanistan aus agieren und für die Terroranschläge vom 11. September verantwortlich sei. Diese Behauptung, ein Gerichtsverfahren kam nicht zustande, wurde vor der UN nie bewiesen. Und das FBI suchte bin Laden auch nicht wegen 9/11. Im Original-FBI-Steckbrief hieß es in einer aktualisierten Version vom November 2001, also rund zwei Monate nach den Anschlägen:

„Usama bin Laden wird gesucht im Zusammenhang mit den am 7. August 1998 verübten Bombardierungen der Botschaften der Vereinigten Staaten in Dar es Salaam, Tansania, und Nairobi, Kenia. Diese Angriffe töteten über 200 Menschen. Darüber hinaus ist bin Laden ein Verdächtiger bei anderen Terroranschlägen auf der ganzen Welt.“

Von 9/11 damals zumindest kein Wort beim FBI.

Obwohl nach offizieller Darstellung 15 der 19 Attentäter aus Saudi-Arabien kamen, wurde stattdessen Afghanistan angegriffen. Außerdem handelte es sich bei den Terroranschlägen um keine kriegerische Handlung eines Staates gegen die USA. Afghanistan wurde in der UN-Resolution nicht einmal erwähnt.

Es lag also kein UN-Mandat vor. Ansonsten wäre die US- oder auch Nato-Doktrin vom präventiven Erstschlag ja auch eine grenzenlose Doktrin, die, wenn sie alle Staaten so für sich in Anspruch nähmen, uns heute in die Ukraine führt. Mindestens. Israel gibt sich übrigens auch ständig das Recht. Und seit dem 24. Februar nimmt sich Russland in der Ukraine das heraus, was sich die Nato, die USA oder Israel permanent und schon seit Jahren erlauben. Der im Oktober 2001 begonnene Krieg gegen Afghanistan verstieß also, wie der Nato-Krieg zwei Jahre zuvor in Ex-Jugoslawien, auch gegen das sogenannte Völkerrecht.

Zwei weitere Jahre später war dann der Irak dran. Na klar, schon wieder völkerrechtswidrig. Im Jahr 2003 griffen die UN-Vetomächte USA und Großbritannien, unterstützt von rund 43 weiteren Staaten der sogenannten „Koalition der Willigen“, Bagdad an. Als Vorwand, Saddam Hussein zu stürzen, wurde wieder eine Lüge vom politisch-medialen Komplex in die Welt gesetzt.

Es waren diesmal die legendären, unterstellten und nie gefundenen, da ja zu keiner Zeit existierenden Massenvernichtungswaffen Husseins höchstpersönlich, die als Grund für den dritten Nato-Krieg im Zweijahresrhythmus herhalten mussten. Der Irak sei deswegen eine Bedrohung. Und zwar für die ganze westliche Welt. Jedenfalls könne der irre Hussein Europa angreifen. Dass Hussein davor schon eine Bedrohung für die Menschen im Irak war, für die aus europäischer Produktion mit Giftgas durch seine Armee ermordeten Kurden etwa — alleine beim Giftgasangriff auf Halabdscha in der autonomen irakischen Region Kurdistans im März 1988 starben bis zu 5.000 Menschen — oder Hussein im Krieg gegen den Iran noch ein nützlicher Idiot war, war dagegen kein größeres Problem. Außerdem wurde eine angebliche und an den Haaren herbeigezogene Verbindung Husseins zu al-Qaida angeführt. Hussein mag ja so einiges gewesen sein, aber gewiss kein Islamist.

Auch in diesem Fall erteilte der UN-Sicherheitsrat kein Mandat für einen Angriff. Die USA und Großbritannien verstießen gegen die UN-Charta, indem sie das Verbot eines Angriffskrieges brachen. Im Irak konnten keine Massenvernichtungsmittel oder Beweise für Angriffspläne gefunden werden, was medial zügig verdrängt wurde und zu keinerlei Folgen für die verantwortlichen Lügner und Kriegsverbrecher führte. Für das irakische Volk dagegen schon. Bereits vor Jahren schätzte die Organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges — Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.“ (IPPNW), dass diese internationale Polit-Verschwörung gegen Husseins Irak über eine Million Tote forderte. Durch den Krieg und dessen Folgen wie den Islamischen Staat.

Es ließen sich weitere Beispiele anführen. Im Jahr 2011 griff die Nato auch in Libyen ein, um Muammar al-Gaddafi zu beseitigen und den — von wem angezettelten? — Bürgerkrieg dort zu beenden. Mit der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates vom 17. März 2011 wurden die UN-Staaten zu einer Flugverbotszone über Libyen unter Beachtung des allgemeinen Waffenembargos und ohne den Einsatz irgendwelcher fremder Truppen ermächtigt. Nur zwei Tage später, am 19. März begannen die Militäraktionen der Nato gegen Libyen zur Unterstützung der Aufständischen im libyschen Bürgerkrieg. Durch die Nato-Luftschläge wurden noch weitere Zivilisten in Libyen getötet.

Das russische Außenministerium erinnerte damals auch daran, dass Waffenlieferungen, die von Ägypten mit Wissen und Billigung der USA an die Aufständischen im Osten des Landes durchgeführt wurden, laut UN-Resolution verboten sind. Der russische Nato-Botschafter Dmitri Rogosin mahnte die Nato zur Neutralität, und der russische Außenminister Sergei Lawrow sagte kurz darauf, also am 28. März 2011, die Koalition greife mit ihren Attacken auf Truppen Gaddafis in den Bürgerkrieg ein.

Lawrow erwähnte auch eine mögliche Präsenz von „Al-Qaida-Elementen“ unter den Oppositionskräften in Land. Gaddafi ereilte bald darauf ein ähnliches Schicksal wie Saddam Hussein. Beide wurden umgebracht. Der eine unter ungeklärten Umständen in Libyen, der andere nach einem Prozess durch den Strang. Milošević kam dagegen vor den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag und wurde dort im Gegensatz zu den Völkerrechtsverbrechern der Nato-Staaten, die ja bis heute hofiert werden, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Ausgerechnet nach Den Haag, wo der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), ein Hauptorgan der UN, das weder von den USA noch von China anerkannt wird, seinen Sitz hat. Dabei ist der IStGH noch nie gegen einen Völkerrechtsverstoß der Nato vorgegangen, was vielleicht auch daran liegt, dass die USA den IStGH torpedieren. Schon fast im wahrsten Sinne des Wortes. Und zwar mit dem „American Service-Members‘ Protection Act“ (ASPA), einem Schutzgesetz für amerikanische Dienstangehörige.

Damit behalten sich die USA nämlich nicht nur das Recht vor, die US-Regierung, US-Militärs und weitere offizielle US-Vertreter vor einer Auslieferung an den IStGH zu schützen, ASPA ermächtige den US-Präsidenten auch, alle erforderlichen Mittel einschließlich einer militärischen Invasion anzuwenden, um in Den Haag angeklagte US-Bürger zu befreien. Das Gesetz, auch als Den-Haag-Invasionsgesetz bekannt, wurde im August 2002 von George W. Bush in Kraft gesetzt. Wie sollte ein Bürger der USA dort also jemals zur Rechenschaft gezogen werden? Und wer würde Den Haag denn dann verteidigen? Die Nato? Die Bundeswehr? Oder doch Russland?

Der ehemalige CDU-Staatssekretär beim Verteidigungsministerium, Willy Wimmer, bezeichnete die Nato und nicht etwa Russland als „globale Zündschnur“ und „Vehikel zur Führung von Angriffskriegen“, das „aus der Zeit gefallen“ sei. Und der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine, der inzwischen aus der Linkspartei ausgetreten ist, forderte auch schon vor Jahren:

„Heute wäre es an der Zeit, ein Bündnis für Abrüstung, Frieden und Gerechtigkeit ins Leben zu rufen, das den in Vergessenheit geratenen Artikel 1 des Nato-Vertrages zur Grundlage seiner Politik macht. Es sollte sich zum Ziel setzen, die irrwitzigen Ausgaben für Rüstung und Militär zu senken und die frei werdenden Mittel zu nutzen, um Hunger und Krankheit in der Welt zu bekämpfen.“

In Artikel 1 des Nato-Vertrags vom 4. April 1947 steht Folgendes:

„Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.“

Artikel 2 beginnt dann mit den Worten:

„Die Parteien werden zur weiteren Entwicklung friedlicher und freundschaftlicher internationaler Beziehungen beitragen.“

Und die Artikel 10 und 13 machen klar, wer in der Nato das Sagen hat: Die USA, die den IStGH militärisch bekämpfen würden, um US-Bürger von dort zu befreien.

Übrigens sollten laut Artikel 2 der UN-Charta alle Mitgliedsstaaten der UN „in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt“ unterlassen. Davon ausgenommen sind nur Kriegshandlungen mit einem Mandat des UNO-Sicherheitsrates zur „Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ nach Artikel 42 oder zur Selbstverteidigung „im Falle eines bewaffneten Angriffs“ nach Artikel 51.

Zu dumm, dass der UN-Sicherheitsrat ein Relikt des Zweiten Weltkriegs zur Manifestation der Siegermächte über Nazi-Deutschland ist. Außer den USA, Frankreich und Großbritannien sitzen nämlich auch noch China und Russland dauerhaft im UN-Sicherheitsrat, um über den Rest der Welt in Form der UN zu herrschen und sich gegenseitig ständig zu blockieren. Und das, sollte es nicht endlich mal zu einer Reform und Demokratisierung der Vereinten Nationen kommen, vorerst bis in alle Ewigkeit (3, 4, 5).

Größe und Enttäuschung

Es war der für die Propagandapresse des Westblocks neue Hitler, Massenmörder oder Lügner, Wladimir Putin, der am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag sagte — und zwar auf deutsch —, dass Russland gegenüber Deutschland immer besondere Gefühle hegt. „Wir haben Ihr Land immer als ein bedeutendes Zentrum der europäischen und der Weltkultur behandelt, für deren Entwicklung auch Russland viel geleistet hat. Kultur hat nie Grenzen gekannt. Kultur war immer unser gemeinsames Gut.“ Es hätte die Völker miteinander verbunden.

„Die Berliner Mauer existiert nicht mehr; sie ist vernichtet. Es wäre angebracht, sich heute daran zu erinnern, wie es dazu gekommen ist.“

Die totalitäre stalinistische Ideologie sei den Ideen von Demokratie und Freiheit nicht mehr gerecht geworden. Die politische Entscheidung des russischen Volkes ermöglichte es der ehemaligen Führung der Sowjetunion, die Beschlüsse zu fassen, die „zum Abriss der Berliner Mauer geführt haben. Gerade diese Entscheidung erweiterte mehrfach die Grenzen des europäischen Humanismus, sodass wir behaupten können, dass niemand Russland jemals wieder in die Vergangenheit zurückführen kann“.

Russland unterstütze die europäische Integration. „Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat.“ Auch Europa hätte durch die Spaltung nichts gewonnen.

Putin war der „festen Meinung“, dass „auch Europa unmittelbar an der Weiterentwicklung des Verhältnisses zu Russland interessiert“ sei. Niemand, so Putin, „bezweifelt den großen Wert der Beziehungen Europas zu den Vereinigten Staaten. Aber ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird“.

Es sei an der Zeit, „daran zu denken, was zu tun ist, damit das einheitliche und sichere Europa zum Vorboten einer einheitlichen und sicheren Welt wird“. Die beispiellose Abrüstung in Mitteleuropa und der baltischen Region im vergangenen Jahrzehnt sei eine Errungenschaft gewesen und Russland „ein freundlich gesinntes europäisches Land“, für das nach einem Jahrhundert der Kriegskatastrophen stabiler „Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel“ ist.

„Wie bekannt, haben wir den Vertrag über das allgemeine Verbot von Atomtests, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot von biologischen Waffen sowie das START-II-Abkommen ratifiziert. Leider folgten nicht alle Nato-Länder unserem Beispiel.“

Man lebe zwar weiterhin „im alten Wertesystem“ und spreche von Partnerschaft, „in Wirklichkeit haben wir aber immer noch nicht gelernt, einander zu vertrauen. Trotz der vielen süßen Reden leisten wir weiterhin heimlich Widerstand. Mal verlangen wir Loyalität zur Nato, mal streiten wir uns über die Zweckmäßigkeit ihrer Ausbreitung“. Putin:

„Tatsächlich lebte die Welt im Laufe vieler Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts unter den Bedingungen der Konfrontation zweier Systeme, welche die ganze Menschheit mehrmals fast vernichtet hätte. Das war so furchterregend und wir haben uns so daran gewöhnt, in diesem Count-Down-System zu leben, dass wir die heutigen Veränderungen in der Welt immer noch nicht verstehen können, als ob wir nicht bemerken würden, dass die Welt nicht mehr in zwei feindliche Lager geteilt ist. Die Welt ist sehr viel komplizierter geworden.“

Und Putin wollte eine effektive Zusammenarbeit. Die bisher ausgebauten Koordinationsorgane gäben Russland nämlich „keine realen Möglichkeiten, bei der Vorbereitung der Beschlussfassung mitzuwirken. Heutzutage werden Entscheidungen manchmal überhaupt ohne uns getroffen. Wir werden dann nachdrücklich gebeten, sie zu bestätigen. Dann spricht man wieder von der Loyalität gegenüber der Nato“. Man müsse sich aber fragen, „ob das normal ist, ob das eine echte Partnerschaft“ sei.

Es waren, so Putin, die „Europäer, die als Erste verstanden haben, wie wichtig es ist, nach einheitlichen Beschlüssen zu suchen und nationalen Egoismus zu überwinden. Wir sind einverstanden; dies sind gute Ideen. Die Qualität der Beschlussfassungen, deren Effizienz und letzten Endes die europäische und die internationale Sicherheit hängen im Großen und Ganzen davon ab, inwiefern wir diese klaren Grundsätze heute in praktische Politik umsetzen können. Noch vor kurzem schien es so, als würde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames Haus entstehen, in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in nördliche und südliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten, und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgültig von vielen Stereotypen und ideologischen Klischees des Kalten Krieges befreit haben. Heute müssen wir mit Bestimmtheit und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei“.

Man schaffe „ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur“ in Europa kein Vertrauensklima. Und ohne „Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten“. Nur eine „umfangreiche und gleichberechtigte gesamteuropäische Zusammenarbeit“ könne einen Fortschritt bei der Lösung von Problemen bewirken. „Wir sind auf eine enge Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit eingestellt.“

Er betonte auch, „dass zum ersten Mal in der Geschichte Russlands die Ausbildungsausgaben die Verteidigungsausgaben übertreffen“. Zwischen Russland und Amerika liegen zwar Ozeane und zwischen Russland und Deutschland die große Geschichte. Doch beides trenne nicht nur, es verbindet auch. „Ich bin überzeugt: Wir schlagen heute eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen auf und wir leisten damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses.“ Und zu Russland:

„Wir sind natürlich am Anfang des Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft und einer Marktwirtschaft. Auf diesem Wege haben wir viele Hürden und Hindernisse zu überwinden. Aber abgesehen von den objektiven Problemen und trotz mancher — ganz aufrichtig und ehrlich gesagt — Ungeschicktheit schlägt unter allem das starke und lebendige Herz Russlands, welches für eine vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft geöffnet ist“ (6).

Spricht so ein neuer Hitler? Nein. Hat man Russlands Angebot angenommen? Nein. Hat sich Europa wenigstens von den USA emanzipiert? Nein. Haben wir dafür globalen Frieden und Gerechtigkeit? Nein. Zumindest in Europa? Nein.

Kümmert man sich im Westen um den Krieg des Westblocks im Jemen mit über hunderttausend Toten, solidarisiert man sich täglich und kommt es zu Friedensdemonstrationen, Boykotten oder Sanktionen? Nein. Ist das nun prorussisch? Nein. Es ist Geschichte. So wie der 24. Februar 2022. Aber ist das alles nicht total verlogen? Ja, so wie der Westblock eben.



Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.spiegel.de/geschichte/die-nato-in-den-sechzigerjahren-angst-vor-den-deutschen-a-1246455.html
(2) https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/70-jahre-nato-geburtstag-militaerbuendnis-jubilaeum-verteidigung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fduckduckgo.com%2F
(3) http://floosrainik.net/das-weltparlament-alle-macht-den-voelkern
(4) http://floosrainik.net/anspruch-und-realitaet-ein-nachtrag-zum-runden-geburtstag-der-nato-teil-1
(5) http://floosrainik.net/anspruch-und-realitaet-ein-nachtrag-zum-runden-geburtstag-der-nato-teil-2
(6) https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966


Dieser Artikel erschien auf Rubikon am 19.03.2022 und ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

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