Borodino 1812 ist Geschichte – welche Lehren haben Politiker und Militärs daraus gezogen und welche davon beherzigen sie 2024?
„Nur wer die Vergangenheit kennt,
kann die Gegenwart verstehen und
die Zukunft gestalten.“
(August Bebel 1840 – 1913)
Borodino 1812 – im Westen heute vergessen?
Das Zitat von August Bebel, einem der Begründer der deutschen Sozialdemokratie nutzte auch der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Rede im Deutschen Bundestag 1995, um auf die Bedeutung der Geschichte zu verweisen. Es wäre nicht nur für Politiker und Militärs angebracht, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.
Die Schlacht von Borodino am 7. September 1812 war eine der größten und blutigsten Auseinandersetzungen der Napoleonischen Kriege und spielte eine zentrale Rolle im Russlandfeldzug Napoleons. Aus dieser Schlacht und dem gesamten Feldzug wurden zahlreiche militärische und politische Lehren gezogen, die die westliche Politik und das Militär nachhaltig beeinflussten.
Aus westlicher Sicht bestand eine der militätischen Lehren darin, dass die russische Strategie des geordneten Rückzugs und der Vermeidung einer entscheidenden Schlacht bis zu Borodino nicht verstanden wurde. Napoleon glaubte Russland vernichtend geschlagen zu haben und zog in Moskau ein, während die Fliehenden ihre Stadt selbst in Brand setzten. Erst im Nachhinein wurde deutlich, dass Rückzüge als legitimes und oft notwendiges Mittel zur Erreichung strategischer Ziele sein können.
Wer diese Geschichte – und die ähnlicher Schlachten – kennt, sollte eigentlich verstanden haben, was ein Pyrrhussieg ist und welche Folgen er hat.
Daran erinnert der ehemalige CIA-Analyst Larry C Johnson in einem Blogbeitrag vom 03. 06. 2025.
Beginn der Übersetzung (Links wie im Original)
Der Westen setzt auf die Borodino-Strategie in der Ukraine und China
Ich weiß. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber manchmal reimt sie sich. Nachdem ich die jüngsten Aktionen des Westens in der Ukraine beobachtet und den zunehmend kriegerischen amerikanischen Drohungen gegenüber China zugehört habe, sehe ich unheimliche Parallelen zur Schlacht von Borodino. Was ist das? Inwiefern ist der Pyrrhussieg der Franzosen in der epischen Schlacht mit den russischen Truppen am 7. September 1812 in der Nähe des westlich von Moskau gelegenen Dorfes für die aktuelle Situation in der Ukraine und in China relevant? Lassen Sie mich das erklären.
Die Schlacht von Borodino [wikipedia dt. – T.S.] war der Höhepunkt von Napoleons rücksichtslosem Versuch, Russland zu erobern, und bereitete den Boden für seine anschließende Niederlage – die französischen Verluste bei der Sicherung ihres „Sieges“ bei Borodino dezimierten sie und machten sie unfähig, den von ihnen begonnenen Krieg zu beenden. Napoleon und seine Befehlshaber kauerten für kurze Zeit in Moskau, mussten dann aber angesichts des frühen Wintereinbruchs erkennen, dass ihnen die Vernichtung drohte, wenn sie blieben, und beschlossen, die Rückkehr nach Frankreich zu versuchen. Es fehlte ihnen die Logistik, um sich in einer Konfliktzone zu halten. Der lange, tödliche Rückzug aus Moskau markierte den Tiefpunkt des französischen Militärs in diesem Feldzug, nachdem es mit einer Armee von 600.000 Mann in Russland einmarschiert war und mit nur noch 16 % der Truppenstärke entkommen konnte. 500.000 Soldaten zu verlieren, ist kein Rezept für einen Sieg.
Heute, mehr als 200 Jahre nach diesem Debakel, sind die Franzosen wieder auf russischem Gebiet (ja, das Land, das wir heute Ukraine nennen, war 1812 russisches Gebiet). Ich schätze, die Franzosen halten nicht mehr viel vom Geschichtsunterricht. Sie haben sich an ein zum Scheitern verurteiltes ukrainisches Militär geheftet und stehen nun erneut einer größeren russischen Armee gegenüber, die auf ihrem eigenen Territorium kämpft. Und was werden die Franzosen den Ukrainern „beibringen“? Welche Erfahrung haben die Franzosen im Kampf mit kombinierten Waffen gegen einen technologisch überlegenen Gegner? Die Antwort lautet: „KEINE!“ Das letzte Mal, dass die Franzosen so etwas wie einen Sieg für sich beanspruchen konnten, war im November 1918, als Deutschland vor den Alliierten kapitulierte und damit den Ersten Weltkrieg beendete.
Aber nicht nur die Franzosen entscheiden sich törichterweise für eine Eskalation des Krieges mit Russland, auch die Vereinigten Staaten und viele NATO-Länder ermutigen die Ukraine offen dazu, mit vom Westen gelieferten Raketen innerhalb Russlands zuzuschlagen, und ignorieren dabei Russlands Warnung, dass dies eine rote Linie ist. Der Westen ist lernbehindert. Er hat die Warnungen Wladimir Putins in den letzten 17 Jahren ignoriert (ebenso wie das Telegramm von CIA-Direktor Bill Burn aus dem Jahr 2008), dass die ukrainische Mitgliedschaft in der NATO eine rote Linie für Russland darstellt. Die Nichtbeachtung dieser Warnung gipfelte in der militärischen Sonderoperation vom Februar 2022.
Putin warnt nun den Westen, dass ukrainische Angriffe innerhalb Russlands eine weitere rote Linie darstellen, die mit einer russischen militärischen Antwort beantwortet werden wird. Es ist wie ein Déjà-vu: Der Westen ignoriert Putins Warnung weitgehend. Die vom Westen gelieferten Raketen – Himars, ATACMS, Storm Shadows und Taurus – haben zwar nur eine begrenzte Reichweite (die Taurus kann mit schätzungsweise 300 Meilen am weitesten fliegen), aber sie stellen dennoch eine grobe Verletzung der russischen Souveränität dar. Ich wiederhole den Punkt, den ich in einem früheren Artikel gemacht habe: Wenn Russland Raketen an Mexiko liefern würde, die dann dazu benutzt würden, Ziele in den Vereinigten Staaten zu treffen, würde das amerikanische Volk Vergeltung fordern. Warum zum Teufel geben sich die Amerikaner der Fantasie hin, dass die Russen sich nicht darum kümmern werden? Das ist völliger Wahnsinn.
Wenn Männer wie Ted Postol, Stephen Bryen und Doug MacGregor offen ihre Besorgnis über die rhetorische und physische Eskalation des Westens gegenüber Russland zum Ausdruck bringen, weiß man, dass man sich in eine Zone enormer Gefahr begeben hat. Ich kenne alle drei Männer, und sie neigen nicht zu Emotionen oder wilden Vorhersagen. Doch in der gegenwärtigen Situation sind sie wirklich erschrocken über das, was sie sehen. Ich teile ihre Angst.
Die Borodino-Strategie ist nicht auf die Ukraine beschränkt. Die Vereinigten Staaten haben die Absicht, gegen China in den Krieg zu ziehen. Das ist Wahnsinn. So wie Napoleons tiefer Einmarsch in Russland seine Kommunikationslinien (d. h. die Logistik) bis zum Zusammenbruch strapazierte, sprechen die Vereinigten Staaten von einer militärischen Konfrontation mit China, die sie nicht aufrechterhalten können.
Das Scheitern der Operation Prosperity Guardian im Roten Meer, die angeblich nichts mit China zu tun hat, ist in Wirklichkeit ein Vorläufer dessen, was den Vereinigten Staaten droht, wenn sie in einen Krieg mit China ziehen. Die Machtprojektion mit Überwasserschiffen im Zeitalter von Drohnen und Hyperschallraketen ist die Analogie des 21. Ich schließe nicht aus, dass die Vereinigten Staaten den Chinesen mit einer Kombination aus Überwasserschiffen, U-Booten und Luftfahrzeugen schwere Verluste zufügen könnten. Aber die Chinesen werden zurückschlagen, und nach einem anfänglichen Energieschub werden die USA nicht in der Lage sein, ihre Streitkräfte im Pazifik, weit weg vom amerikanischen Festland, zu halten.
Die Lektion von Borodino ist, dass ein Zermürbungskrieg die Macht begünstigt, die ihren Nachschublinien am nächsten ist. Das ist eine Lektion, die der Westen, insbesondere Amerika, nicht lernen will. Die herrschende politische Klasse der USA – sowohl die Republikaner als auch die Demokraten – haben sich dem Irrglauben hingegeben, dass sie der Welt ihren Willen mit Gewalt aufzwingen können. Diplomatie ist in ihrer Fantasiewelt etwas für Weicheier. Es gibt keinen Präsidentschaftskandidaten, der für Diplomatie statt für militärische Gewalt plädiert. Die Vereinigten Staaten und Europa stolpern auf einen Krieg zu, der völlig vermeidbar ist, weigern sich aber, die Auswege zu beschreiten, die zu einer Deeskalation der Konflikte führen würden.
Eine weitere Lehre aus Borodino: Obwohl Napoleons Armee schreckliche Verluste erlitt, hielt Napoleon an seinem unstillbaren Eroberungsdrang fest und weigerte sich, einen Weg zum Frieden zu finden. Es war dieser ungestillte Drang, der ihn schließlich nach Waterloo führte. Das westliche Streben nach Vorherrschaft über Russland und China wird wahrscheinlich zu einem Waterloo für Amerika und Europa im 21. Jahrhundert, die Geschichte reimt sich.
Ende der Übersetzung