„Missbrauchstatbestand“
Was ist „Missbrauch“ steuerrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten?
Wer Steuern zahlt, möchte häufig auch Spielräume nutzen, so wenig Steuern zu zahlen wie möglich. Früher wurden dafür gern sogenannte „Steuerspar-/Steuerstundungsmodelle“ genutzt. Diese Möglichkeiten wurden gemäß Einkommensteuergesetz (EStG) § 15b seit November 2005 weitgehend eingeschränkt.
Die Spielräume für steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten wurden nochmals verschärft eingeschränkt mit der Neufassung des § 42 Abgabenordnung (AO) im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2008.
Wie steht das genau im Gesetz?
(1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
(2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.
Abgabenordnung (AO) § 42
Welche Vorteile können Sie aus Ihrem Wissen über den „Missbrauchstatbestand“ ziehen?
Mit AO § 42 ist nicht gesagt, dass jegliche Steuergestaltung gleich den „Missbrauchstatbestand“ erfüllt. Es gilt aber genau zu überlegen und zu begründen, dass die gewählte Steuergestaltung durch das Steuerrecht und die wirtschaftlichen Ziele gerechtfertigt ist. Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat im Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) die Handlungsspielräume für Steuerpflichtige erläutert:
Was sollten Sie beachten, um keinen Schaden zu erleiden?
Sie sollten zunächst prüfen, ob das jeweils anwendbare Einzelsteuergesetz für den jeweiligen Sachverhalt eine Regelung enthält, mit der Steuerumgehungen verhindert werden sollen. Gibt es eine solche Regelung und wollen Sie diese wählen, so müssen Sie mit Rechtsfolgen gegen Ihre Gestaltung rechnen. Doch auch wenn der Tatbestand gemäß des Einzelsteuergesetzes nicht erfüllt wird, ist § 42 der AO von der Finanzverwaltung willkürlich anwendbar.
Eine unangemessene rechtliche Gestaltung und damit ein Missbrauch im Sinn der AO § 42 liegt vor,
„wenn
- eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die den wirtschaftlichen Vorgängen nicht angemessen ist,
- die gewählte Gestaltung beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem Steuervorteil führt,
- dieser Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen ist und
- der Steuerpflichtige für die von ihm gewählte Gestaltung keine außersteuerlichen Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.“
Im AEAO werden darüber hinaus Indizien genannt, die für eine unangemessene rechtlichen Gestaltung im Sinn von § 42 AO sprechen:
„Indizien für die Unangemessenheit einer Gestaltung sind zum Beispiel:
- die Gestaltung wäre von einem verständigen Dritten in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ohne den Steuervorteil nicht gewählt worden;
- die Vor- oder Zwischenschaltung von Angehörigen oder anderen nahe stehenden Personen oder Gesellschaften war rein steuerlich motiviert;
- die Verlagerung oder Übertragung von Einkünften oder Wirtschaftsgütern auf andere Rechtsträger war rein steuerlich motiviert.“
Wie denken andere über den „Missbrauchstatbestand“
Der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) kritisiert konkret, dass nach dem neuen Anwendungserlass § 42 AO auch dann anwendbar sein soll, wenn zwar eine spezielle Missbrauchsvorschrift existiert, deren Tatbestand aber nicht erfüllt ist. Der DStV sieht hierin eine unzulässige Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 42 AO und eine Missachtung des gesetzgeberischen Willens. Die spezielle Vorschrift würde sinnentleert, wenn sie mit einem Rückgriff auf die Generalklausel in § 42 AO ausgehebelt werden könne.
Der DStV beruft sich für seine Auffassung auf folgendes Beispiel: Wenn eine spezielle Norm dem Steuerpflichtigen für die Gewährung eines Buchwertprivilegs eine Haltefrist von drei Jahren auferlege, könne der Fiskus nicht unter Berufung auf § 42 AO geltend machen, die Veräußerung des Wirtschaftsguts nach vier Jahren sei rechtsmissbräuchlich. Habe der Gesetzgeber – wie im Beispielsfall – bestimmte Voraussetzungen für das Vorliegen eines Missbrauchs aufgestellt, so könne der Fiskus diese nicht unter Berufung auf § 42 AO nach eigenem Gutdünken ändern
Karl Friedrich Girolamo: „Wenn eine Gruppe von Privatpersonen unter Androhung von Strafen Geldansprüche an einen Menschen stellt, dann nennt man diese Gruppe eine Verbrecherbande und der Vorgang heißt ‚Schutzgeldkriminalität‘. Wenn eine Gruppe von Verwaltungsbeamten unter Androhung von Strafe Geldansprüche an einen Menschen stellt, dann nennt man diese Gruppe Finanzamt und der Vorgang heißt ‚Steuern zahlen‘.“