Ein Kinderkrankenhaus in Kiew wurde von einem Raketenschlag getroffen. Unterschiedliche und unerwartete Reaktionen.
Kinderkrankenhaus in Kiew von Rakete getroffen
Am 08. 07. 2024 wurde ein Kinderkrankenhaus in Kiew von einem Raketenschlag getroffen. Unmittelbar danach meldeten Reuters und viele weitere Nachrichtendienste, dass es sich um einen direkten Angriff aus Russland gehandelt habe. In einem Bericht der Tagesschau hieß es, der
„…ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU spricht von neuen Beweisen für einen Treffer durch einen russische CH-101-Marschflugkörper. ‚Die Schlussfolgerungen der Experten sind eindeutig – es war ein direkter Angriff‘, erklärt der SBU auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Er zeigt Bilder von einem Fragment eines Triebwerks, das an der Stelle des Einschlages gefunden worden sein soll. Die Analyse der Flugbahn und der Art des verursachten Schadens beweise, dass es sich um einen direkten Treffer gehandelt habe.“ („CH“ – Transkription für das russische „X“.)
Zahlreiche westliche Politiker und Medien verurteilten teilten diese Information des ukrainischen Geheimdienstes. Der UN-Sicherheitsrat trat zu einer Sitzung zusammen, in der Russland des Raketenschlags auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew beschuldigt wurde.
Linda Thomas-Greenfield, Ständige Vertreterin der USA im UN-Sicherheitsrat, sprach von einer „brutalen Attake“:
„‚Es ist Fakt, dass im ganzen Land hunderte Kinder getötet, tausende verwundet und Millionen vertrieben werden, während Russland seine Terror-Kampagne in der Ukraine fortsetzt'“.
Wassili Nebensja, Russlands Ständiger UN-Vertreter, wies diese Anschuldigungen jedoch zurück. Die Analysen von Fotos und Videos, die im Sicherheitsrat gezeigt wurden, ließen eindeutig erkennen, „dass es sich um eine ukrainische Flugabwehrrakete handelte.“ Die Vorwürfe an Russland verglich er mit den Provokationen un Butscha und Mariupol. Russland habe wiederholt erklärt, dass es keine zivilen Einrichtungen in der Ukraine angreife. Entscheidend sei, dass die technischen Parameter sowohl der Rakete selbst als auch der Explosion beweisen, dass die Rakete tatsächlich aus Norwegen stamme. Und höchstwahrscheinlich seien NATO-Offiziere an ihrem Start beteiligt gewesen.
Maria Sacharova, Sprecherin des russischen Außenministeriums, erklärte:
„Viele Augenzeugen und andere Quellen haben bereits bestätigt, dass eine aus westlicher Produktion stammende NASAMS-Boden-Luft-Rakete ein Gebäude des Ochmatdet-Kinderkrankenhauses in Kiew getroffen hat. Beamte in der Bankowaja-Straße [Hauptquartier des Zelenski-Regimes] begannen sofort, Russland zu beschuldigen, absichtlich Kinder zu töten.“
Was gilt rechtlich als Schuldfähigkeit?
John Helmer, ein 1946 in Australien geborener Journalist und Buchautor, der seit 1989 in Moskau arbeitet, hat in einem Blogbeitrag die Frage nach einem Schuldbeweis für die Tötung von Personen bei dem Raketenangriff und deren Strafbarkeit aufgeworfen:
Nach der alten und aktuellen Rechtslehre zur Schuldfähigkeit bei Tötung muss zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass sowohl die Tötungsabsicht (Motiv) als auch die Tötungshandlung des Täters selbst vorliegen.
Nach den medialen Anklagen aus den USA, der NATO und der Ukraine wären diese Tatbestandsmerkmale bei dem „russischen Raketenangriff“ erfüllt. Mehr noch:
„Der Angriff der Russischen Föderation auf ein ukrainisches Kinderkrankenhaus ist ’nicht nur ein Kriegsverbrechen‘, sondern ‚überschreitet die Grenzen der Menschlichkeit'“,
erklärte Joyce Msuya, amtierende Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinatorin der UN vor dem Sicherheitsrat.
Danielle Bell, Leiterin der UN Menschenrechtsbeobachtungsmission in der Ukraine, behauptete:
„Die Analyse des Videomaterials und die vor Ort vorgenommene Bewertung deuten darauf hin, dass das Kinderkrankenhaus höchstwahrscheinlich einen direkten Treffer erlitten hat und nicht durch ein abgefangenes Waffensystem beschädigt wurde. Natürlich muss dies, wie bereits gesagt, untersucht werden…
Auf die Frage, ob es sich um einen möglichen Volltreffer handelte, sagte Bell: ‚Wir haben noch nicht ermittelt‘.“
John Helmer leitet aus den rechtlichen Tatbestandsvoraussetungen für die Schuldfähigkeit an einer Tötung und diesen Aussagen ab:
„In einem britischen oder amerikanischen Gerichtssaal ist dies das Ende des Schuldnachweises, der über jeden vernünftigen Zweifel erhaben ist. Der Verteidiger würde dann dem Richter und den Geschworenen verkünden, dass die Anklage gescheitert ist, und die Einstellung des Verfahrens beantragen…
Im Fall des Kiewer Krankenhauses gibt es bis heute keine Beweise dafür, dass Splittermetall oder Streuelemente des X-101-Sprengkopfes Tod oder Verletzungen im Krankenhaus verursacht haben. Die Ukrainer haben keinen Vergleich zwischen der Fragmentierung des X-101-Sprengkopfes und der Fragmentierung des NASAMS-Sprengkopfes veröffentlicht.“
Zwar bezog sich Danielle Bell in ihrer Behauptung auf einen „Militärexperten“, doch fehlten jegliche sichere medizinische Beweise, dass die Opfer durch die Explosion eines X-101-Sprengkopfes einer russischen Rakete starben.
„Vor einem britischen oder amerikanischen Gericht wird dies als Hörensagen bezeichnet. Zum Nachweis des actus reus wird der Richter die Geschworenen darauf hinweisen, dass die Aussage des Sachverständigen ohne Indizienbeweise und Kreuzverhöre bei einer Mordanklage so gut wie keine Beweiskraft hat.“
Zudem wundert sich Helmer, dass in einem Krankenhaus mit Hunderten von Krankenschwestern und Ärzten nicht einmal ein einziges Zeugnis über die Todesursache oder die Verletzung vorliegen. Das sei „mehr als merkwürdig. Es ist Verheimlichung und Vertuschung“.
Welche Rakete schlug auf dem Krankenhausgelände ein?
Am 10. 07. 2024 analysierte Igor Galaburda in einem Artikel auf Wsgljad den Zusammenhang zwischen einem Gruppenangriff russischer Streitkräfte auf militärische Industrieanlagen in Kiew, insbesondere auf das Artjom-Werk (im Bild oben) im Stadtzentrum und den Einschlag einer Rakete in der Nähe eines Kiewer Kinderkrankenhauses (im Bild unten).
Dabei stellte er fest:
„Unmittelbar danach begann das Kiewer Regime, Fälschungen zu verbreiten, die ‚beweisen‘, dass der Einschlag von einem russischen X-101-Marschflugkörper ausgeführt wurde. Die ukrainische Propaganda demonstriert Fotos und Videos, die den Abschuss mit einer Rakete zeigen, die einige Merkmale der X-101 aufweist. Diese Behauptungen werden jedoch durch eine Reihe von Umständen vollständig widerlegt.“
Als solche Umstände nennt Galaburda:
- Es sei weder ein Problem, Bilder oder Videos zu manipulieren, noch „Raketentrümmer an einem Ort zu sammeln und zu behaupten, sie stammten von einer Rakete, die an einem anderen Ort explodiert ist.“ So habe der Kiewer Bürgermeister Klitschko bereits früher als Trümmer einer abgeschossenen Rakete vom Typ Kinshal [Hyperschallrakete] gezeigt, die zweifelsfrei nicht von einer Kinshal stammten.
- „Die Rakete traf nicht das Hauptgebäude des Krankenhauses, sondern ein zweistöckiges Gebäude daneben.“
- Die Zerstörung in Kiew sei „überhaupt nicht typisch für die Explosion eines 450-Kilogramm-Sprengkopfs einer X-101-Rakete. Schon ein einziger Treffer einer Kalibr- oder X-101-Rakete reicht aus, um ein großes Wärmekraftwerk oder eine Fabrik außer Betrieb zu setzen. Würde ein 450 kg schwerer Sprengkopf einer X-101-Rakete einschlagen, würde das Gebäude vollständig zerstört und ein Krater an seiner Stelle entstehen. Erinnern wir uns zum Beispiel daran, dass beim Einschlag einer 3M-54 Kalibr-Rakete mit einem 450-kg-Sprengkopf in das Administrationsgebäude von Nikolajew ein ganzer Gebäudeteil zusammenbrach.“
X-101 oder NASAMS-2? – das ist hier die Frage
Tatsächlich handele es sich den Dokumenten nach zu urteilen um den Einschlag einer AIM-120-Rakete aus dem Flugabwehrsystem NASAMS-2 der ukrainischen Streitkräfte, wie auch Wassili Nebensja auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates darlegte. Darüber hinaus decke sich das äußere Erscheinungsbild dieser Rakete auch mit dem, was ukrainische Propagandisten selbst zeigten.
Letzteres werde auch deutlich, wenn die Videos „ukrainischer Propagandisten“ verglichen werden.
Hier die Einschläge einiger der sechs X-101, die das Kiewer „Artjom“-Werk und Anlagen der Stromversorgung trafen:
Man vergleiche das mit der Rakete, die das Krankenhaus zerstörte im Video oben oder in folgendem Video besonders ab Min. 00:46 bis 01:16.
Diesen Vergleich demonstrierte auch John Helmer anhand der beiden Abbildungen, die keine Verwechslung zwischen den Flugkörpern zulassen:
Wenn der Raketeneinschlag auf den Einsatz einer NASAMS zurückzuführen ist, dann folgert Igor Galaburda: Die Komplexität des Systems
„ist so groß, dass es kaum von ukrainischen Soldaten in Betrieb genommen werden kann, da es zu viel Ausbildung erfordert. Folglich sind die Bediener und Ingenieure eines solchen Flugabwehrraketensystems höchstwahrscheinlich Amerikaner und Norweger. Das ukrainische Krankenhaus wurde also gar nicht von den Russen beschossen, sondern von den de facto westlichen Verbündeten der Ukraine. Das heißt, von NATO-Soldaten.“
Westliche Propaganda – „Bullshit“
Dass es sich bei dem „russischen Raketenangriff“ auf das Kiewer Kinderkrankenhaus nicht um ein russisches Kriegsverbrechen, sondern um Propaganda handelt, kritisierte bereits am 08. 07. 2024 auch der ehemalige CIA-Analyst Larry C. Johnson:
„Es gibt nur ein Problem mit der Geschichte – sie ist BULLSHIT. Das Kinderkrankenhaus wurde von einer irrtümlich von der Ukraine abgefeuerten Luftabwehrrakete getroffen. Huch! Was wirklich aufschlussreich ist, ist die Tatsache, dass über die anderen von russischen Raketen getroffenen Einrichtungen in Kiew NULL berichtet wurde. Wissen Sie warum? Weil es sich um militärische Ziele handelte und es wahrscheinlich westliche Opfer gab. Russland hat diesen Schlag bei Tageslicht während der Arbeitszeit ausgeführt, um denjenigen, die mit der Herstellung oder Reparatur von Waffen beschäftigt sind, möglichst viele Opfer zuzufügen.
Die ukrainischen Behörden haben auch bei der Zahl der abgeschossenen russischen Raketen gelogen. Die ukrainische Luftwaffe behauptete, sie habe 30 von 38 russischen Raketen abgeschossen.“
Da stellt sich berechtigt die Frage: Sollte mit dieser PR-Kampagne von dem kurze Zeit darauf beginnenden Treffen anlässlich des 75. Jahrestages der NATO-Gründung nach der Devise „Haltet den Dieb“ abgelenkt werden? Joe Lauria schrieb darüber „NATO-Gipfel: Kollektiver Wahnsinn“.
Reaktionen ukrainischer Blogger
Was wohl niemand erwartet hat: Auf den Raketeneinschlag in der Kiewer Kinderklinik reagierten ukrainische Blogger ganz anders als in der Vergangenheit.
Mehrere Blogger, die sich bisher vor allem dem „modernen Lifestyle“ widmeten und dafür beispielsweise auf Instagram ein Millionenpublikum gewannen, sprachen sich nunmehr für die Beendigung des Konflikts mit Russland aus – darunter Wladislawa Rogowenko (eine Million Follower), Julia Werbynez (2,1 Millionen Follower), Olexandr Woloschyn (eine Million Follower), die 43-jährige Anna Alchimowa (800.000 Follower) auf Telegram:
„➖…’Euer ’ne probachemo‘, ‚peremozhemo‘ [ukrainisch: ‚wir werden siegen‘] ist so nervig, ich glaube, ich bin nicht der Einzige. Wann ist ‚peremozhemo‘? Wenn man eine Menge Geld gestohlen hat, wenn nichts mehr vom Land übrig ist, keine Menschen, keine Kinder, kein Militär, niemand mehr, dann ’ne probachemo'“, sagte Alkhim.
Die Bloggerin Wladyslawa Rogowenko beispielsweise sagte, sie ‚hasse die Behörden auf beiden Seiten‘ und nannte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskij einen ‚Clown‘, dem Kontext nach zu urteilen.
Der ukrainische Blogger Oleksandr Woloschyn sagte seinerseits: „Wir nehmen diesen Krieg nicht auf die leichte Schulter und müssen klüger sein.“
➖ Trotz der Versuche, diese Blogger zu verurteilen, wurden sie in den Kommentaren der Nutzer meist unterstützt. Die ukrainische Führung hatte offenbar nicht mit einer solchen Welle der Kritik von ihren eigenen Bürgern gerechnet, insbesondere von populären Persönlichkeiten in den sozialen Medien.
➖ Während die Politiker ihre Parolen fortsetzen, beginnen die Menschen, ihre Unzufriedenheit offen zu äußern und zum Frieden aufzurufen.“
Natürlich gab es für diesen „Verrat“ barsche Kritiken. Doch so massenwirksam klang noch keine ukrainische Meinungsäußerung seit Beginn des Krieges im Februar 2022.