Indien steht wie viele andere Staaten vor einer geopolitischen Neuorientierung. Die Wirkungen des Krieges in der Ukraine reichen viel weiter.
Indien sucht eine geopolitische Neuorientierung
Der ehemalige Botschafter MK Bhadrakumar war drei Jahrzehnte lang Berufsdiplomat. Für den indischen Auswärtigen Dienst arbeitete er in der ehemaligen Sowjetunion, in Pakistan, im Iran, in Afghanistan und der Türkei.
In THE TRIBUNE kommentiert er die jüngste Entwicklung in der Ukraine:
Die zwei massiven Terroranschläge auf Nord Stream 1 + 2 sowie die Krim-Brücke sind spektakulär fehlgeschlagen. Denn sie sollten Russland den Todesstoß versetzen.
Aus russischer Sicht dagegen sollten die Anschläge auf die Gaspipelines die Beziehungen zwischen Russland und der EU endgültig kappen und Europa schwächen.
Wärend die USA, die Ukraine und Polen als „Nutznießer“ erscheinen, hüllt sich Brüssel in Schweigen – „ein zutiefst peinlicher Moment für die EU.“
„Der Triumphalismus ist verflogen, da Europa von einer jahrelangen Rezession bedroht ist, die durch die Rückwirkungen der Sanktionen gegen Russland verursacht wurde, bei denen die USA auf dem Abbruch der Energiebeziehungen zu Moskau bestanden haben. Die EU ist nun zu einem gefangenen Markt für Big Oil geworden und muss LNG aus den USA zu einem Preis kaufen, der sechs- bis siebenmal höher ist als der Inlandspreis in den USA. (Der vertraglich vereinbarte Preis für langfristige russische Lieferungen an Deutschland lag früher bei etwa 280 Dollar pro 1.000 Kubikmeter, während der aktuelle Marktpreis bei etwa 2.000 Dollar liegt).
Im Klartext: Die Europäer wurden von den Amerikanern schön ausgetrickst.“
Bhadrakumar interpretiert dieses Ergbenbis zugleich als Warnsignal für Indien. Denn „im Grunde habe die Biden-Administration eine künstliche Energiekrise geschaffen, deren eigentliches Ziel Kriegsgewinnlerei ist.“
Allerdings wurde mit diesen Anschlägen auch eine weitere rote Linie überschritten, auf die Russland reagieren wird.
„Die Russen werden sich mit nichts Geringerem zufrieden geben als mit dem Sturz des Zelenskyy-Regimes“
Diese Konsequenz will die US-Administration offiziell noch nicht wahrhaben.
„Die Amerikaner leben in der surrealen Welt ihrer selbstgefälligen Erzählung, dass Russland den Krieg ‚verloren‘ hat.“
„Westliche Politiker, darunter auch Biden, wissen, dass die Russen nicht mehr aufzuhalten sind. Die Waffenkasse der USA geht langsam zur Neige, während Kiew immer mehr fordert.“
„Washington hat jedoch noch nicht das Handtuch geworfen, und die Regierung Biden ist nach wie vor davon besessen, das russische Militär auszuschalten – selbst um den Preis der Zerstörung der Ukraine. Und auch für die Russen gibt es auf dem Schlachtfeld noch viel zu tun: Die unterdrückte russische Bevölkerung in Odessa (wo die Neonazis unsägliche Gräueltaten verübt haben), Mykolaiv, Saporischja, Dnipropetrowsk und Charkow erwartet eine ‚Befreiung‘. Das ist für Russland ein sehr emotionales Thema. Auch hier muss die übergeordnete Agenda der ‚Entmilitarisierung‘ und ‚Entnazifizierung‘ der Ukraine zu ihrem logischen Abschluss gebracht werden.“
Krieg in der Ukraine führt zu multipolarer Weltordnung
Der russische Präsident hat mehrfach verdeutlicht, dass Russland keinen Krieg gegen die Ukraine führt, sondern in der Ukraine gegen die NATO. Darauf habe auch der ungarische Premierminister Viktor Orban letzte Woche hingewiesen.
„‚Jeder, der ernsthaft glaubt, dass der Krieg durch russisch-ukrainische Verhandlungen beendet werden kann, lebt in einer anderen Welt. Die Realität sieht anders aus. In Wirklichkeit können solche Fragen nur zwischen Washington und Moskau diskutiert werden. Heute ist die Ukraine nur deshalb in der Lage zu kämpfen, weil sie militärische Unterstützung von den Vereinigten Staaten erhält…
Gleichzeitig sehe ich Präsident Biden nicht als die Person, die für solche ernsthaften Verhandlungen wirklich geeignet wäre. Präsident Biden ist zu weit gegangen. Es genügt, an seine Äußerungen gegenüber dem russischen Präsidenten Putin zu erinnern.‘
Indien sollte mit einer Niederlage der USA und der NATO rechnen, die den Übergang zu einer multipolaren Weltordnung vollendet. Leider müssen sich die indischen Eliten erst noch von ihrer ‚unipolaren Zwangslage‘ befreien. Europa, einschließlich Großbritanniens, ist am Boden zerstört, und die Unzufriedenheit über die „transatlantische Führungsrolle“ der USA ist deutlich spürbar. Die indo-pazifische Strategie ist hoffnungslos verfahren. In der erweiterten Nachbarschaft Indiens bilden sich neue Machtzentren heraus, wie die Abfuhr der OPEC an Washington zeigt. Das indische strategische Kalkül muss grundlegend angepasst werden.“
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