Dezember 7, 2025

Deutschlands Kriegsdienst

Sag Gretchen, wie halten ’s die Deutschen mit dem Kriegsdienst? Eine deutsche Journalisten schreibt darüber im Guardien.

„Deutschlands“ neue Stellung zum Kriegsdienst

Eine deutsche Journalistin hat zu diesem aktuellen Thema einen Artikel im britischen Guardien veröffentlicht. Mithu Melanie Sanyal hat sich laut Wikipedia in der Vergangenheit vor allem den Themenschwerpunkten sind Feminismus, Rassismus, Popkultur und Postkolonialismus gewidmet.

Ihre Position zu dem Thema ist nicht neu, wie unter anderem frühere Aussagen zeigen:

In dem folgenden Beitrag schildert sie ihre Sicht, warum dieses neue „politische Engagement“ nicht einfach so hingenommen werden sollte.

„Deutschlandweite Schulstreiks gegen die Wehrpflicht“ offenbaren, dass die davon betroffene Generation nicht nur nicht begeistert ist von dem Vorhaben, sondern auch politische Gründe formuliert für ihre Ablehnung.

Beginn der Übersetzung:

Deutschland erzog seine Bürger dazu, den Krieg zu hassen. Jetzt will es, dass wir in die Armee eintreten, aber wir sagen Nein

Der Krieg in der Ukraine ist ein Verbrechen. Aber die europäischen politischen Führungen sollten auf den Frieden hin arbeiten – und nicht dahin, junge Menschen darauf vorzubereiten, in einem Krieg zu kämpfen und zu sterben.

von Mithu Sanyal | The Guardian

Als ich aufwuchs, war der deutscheste Satz, den man sich vorstellen konnte: „Wir haben zwei Weltkriege verloren und sind stolz darauf.“ Wir waren so antimilitärisch gesinnt, dass wir sogar unseren Polizisten in grüne Uniformen steckten, damit sie mehr wie Förster aussahen als wie Soldaten. Jetzt will Bundeskanzler Friedrich Merz, dass unsere Armee die stärkste in Europa wird. Ich meine, was könnte da schon schiefgehen?

Nachdem wir den Zweiten Weltkrieg verloren hatten – oder, wie wir lieber sagen, nachdem wir von den Alliierten befreit wurden –, schworen wir „Nie wieder“: nie wieder Krieg, und nie wieder Auschwitz.

Zugegeben, Deutschland rüstete ab 1955 wieder auf, aber eben als „Staatsbürger in Uniform“, nicht als Soldaten, die Befehlen folgen. Wohlgemerkt, das bedeutete nicht, dass man einen Befehl verweigern konnte; es bedeutete lediglich, dass wir bis 2011 eine Wehrpflicht für die meisten jungen Männer hatten.

Für uns war es unglaublich, dass die britische Armee mit anderen überall auf der Welt Kriege führte. Die meiste Zeit meines Lebens überschritt die deutsche Armee unsere Grenzen nicht. Dann kam 1990 die Wiedervereinigung, und während der ersten Sitzung des gesamtdeutschen Bundestags verkündete der damalige Kanzler Helmut Kohl, dass Deutschland international mehr Verantwortung übernehmen müsse. Das Gesetz wurde 1994 entsprechend geändert, um der Bundeswehr erneut Einsätze „out of area“ – außerhalb des eigenen Bereiches – zu ermöglichen.

Nichtsdestotrotz blieben die Deutschen bei der Vorstellung empfindlich, dass unsere Soldaten tatsächlich das tun könnten, wofür sie ausgebildet wurden. Also redeten wir uns ein, sie würden „nur Brunnen bauen“. Ich mache keine Witze: Das war die Standardantwort an die besorgten Pazifisten Deutschlands, also an einen großen Teil der Menschen, die das deutsche Bildungssystem durchlaufen und diese „Nie wieder“-Botschaften immer und immer wieder gehört hatten.

Das alles änderte sich 1999. Ich versuche immer wieder, Außenstehenden die seismische Verschiebung zu vermitteln, die in diesem Jahr stattfand, als unser damaliger Außenminister Joschka Fischer erklärte, wir müssten das Motto „Nie wieder Krieg“ aufgeben, um „Nie wieder Auschwitz“ zu ehren, weil Serbien angeblich plante, in Kosovo ein „neues Auschwitz“ zu errichten. Den Holocaust zu beschwören war die einzige Möglichkeit, die deutsche Öffentlichkeit dazu zu bringen, Deutschlands Teilnahme an internationalen Kriegen wieder zu akzeptieren.

Und jetzt führen wir die Wehrpflicht wieder ein, bloß nennen wir es „freiwillige“ Wehrpflicht. Was könnte dem „Neusprech“ mehr entsprechen als das? Wie wäre es damit, einen großen Friedenspreis, den Internationalen Friedenspreis von Westfalen, an die NATO zu vergeben? Wie es der Zufall will, hat Deutschland genau das getan. Selbst die evangelische Kirche Deutschlands hat diesen Monat ihre Haltung zu Krieg und Atombomben neu bewertet und einen 149-seitigen Bericht mit folgendem Fazit veröffentlicht: „In diesen schwierigen Zeiten ist christlicher Pazifismus ethisch nicht vertretbar“.

Es ist beängstigend, wie schnell sich das alles dreht, und einige Details sind schlicht verblüffend. In einer Nachahmung der „Hunger Games“ hat das Bundeskabinett vorgeschlagen, durch ein Losverfahren entscheiden zu lassen, wer für Deutschland kämpfen muss, falls sich nicht genügend junge Menschen freiwillig zur Armee melden. Im „Presseclub“, eine populäre TV-Sendung für aktuelle Themen, kam man zu dem Schluss, die Wehrpflicht sei gut für junge Männer, weil – festhalten – bei der Musterung die Musterungsoffiziere die Genitalien der jungen Männer inspizieren, was also wie eine kostenlose Untersuchung auf Prostatakrebs zu werten sei. Das geht über das bloße Propagieren einer Remilitarisierung hinaus, das sagt dem deutschen Volk: Wir halten euch für dumm, und wir behandeln euch auch so.

Vielleicht sind wir dumm. Vor ein paar Monaten noch wies eine prominente deutsche Feministin darauf hin, dass es gegen die Prinzipien der Gleichberechtigung verstoße, dass unsere Söhne in die Armee müssen. Allerdings! Aber dann forderte sie umgehend, dass auch unsere Töchter eingezogen werden sollten. Feminismus bedeutet jedoch nicht diese Form von gleicher Ungerechtigkeit für alle, sondern er bedeutet unsere Söhne davon zu befreien, für ihr Land sterben zu müssen.

Und sterben werden sie, wenn wir in den ukrainischen Krieg mit Menschen eintreten, so wie wir es mit Waffenexporten bereits getan haben. Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes der Bundeswehr, warnte, dass täglich 1.000 Soldaten sterben oder schwer verstümmelt werden würden. Wollte er damit vor dieser Art von Wahnsinn warnen? Nein. Seine Hauptsorge war, wie man täglich 1.000 tote menschliche Wesen ersetzen könne. Die Lösung: die zwingende Wehrpflicht.

Nun ist Sensburg nicht nur Reservist, er ist auch ein ehemaliges Mitglied des Bundestags für die regierende CDU. Wenn er also darüber spricht, täglich 1.000 tote junge Männer – und vielleicht auch tote junge Mädchen – zu ersetzen, als sei das unvermeidlich, spricht er aus einer Position der Nähe zur Macht.

Ebenso weiß Bundeskanzler Merz, dass er dabei hilft, die nationale Stimmung neu zu formen und eine neue Agenda zu setzen, wenn er sagt: „Wir sind nicht im Krieg. Aber wir sind nicht mehr im Frieden.“ Das gilt ebenso für fast jeden Politiker und – ich schäme mich, das zuzugeben – fast jeden Journalisten in Deutschland. Sie beteiligen sich an dem, was Propagandaforscher kognitive Kriegsführung nennen.

Für Pazifismus einzutreten bedeutet nicht, die Ukraine im Stich zu lassen. Ich stimme zu, dass der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen ist, aber warum tun wir dann nicht alles in unserer Macht Stehende, um ihn zu beenden? Warum sprechen unsere Politiker nicht rund um die Uhr über Entspannung? Genau deshalb lehne ich die Wiedereinführung der Wehrpflicht ab: Ein Land, das nicht alles tut, um Kriege zu verhindern, hat das Recht verloren, seine Bürger zur Teilnahme an einem Krieg aufzufordern.

Aber wir fragen, und die Antwort ist überwältigend, „Nein.“ Die meisten Deutschen unter 30 sind gegen die Wehrpflicht, und nur die Deutschen, die zu alt sind, um in den Krieg zu ziehen, sind dafür. Die Deutsche Friedensgesellschaft berichtete im vergangenen Sommer von einem starken Anstieg des Interesses an der Kriegsdienstverweigerung.

Tatsächlich hat die Friedensgesellschaft gerade ihre Strategie angepasst: Sie rät jungen Menschen nun, die Wehrpflicht präventiv zu verweigern, nachdem der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass Kriegsdienstverweigerung in Kriegszeiten verboten ist. Aber wissen Sie, was auch noch verboten ist? Kriege. Verboten seit 1928, als Deutschland den Kellogg-Briand-Pakt unterzeichnete, den Pariser Vertrag zur völkerrechtlichen Ächtung des Krieges, der dazu gedacht war, einen weiteren Weltkrieg zu verhindern.

Ach, ja.

_____________

Mithu Sanyal ist Autorin, Wissenschaftlerin und Rundfunksprecherin mit Sitz in Düsseldorf. Ihr neuester Roman heißt Identitti.

Ende der Übersetzung (von Thomas Röper)


Beiträge und Artikel anderer Autoren müssen nicht die Sichtweise des Webseiteninhabers widerspiegeln, sondern dienen nur der vergleichenden Information und Anregung zur eigenen Meinungsbildung.


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