Ungeimpft und vogelfrei
Wer sich der Gen-Spritze verweigert, ist in Deutschland gesellschaftlich zum Abschuss freigegeben.
von Rubikons Leserinnen und Leser
Ungeimpft lebt es sich schwer im Deutschland des Jahres 2021. Die Luft wird immer dünner, der Spielraum gesellschaftlicher Teilhabe immer kleiner. Hinzu kommt, dass jene, die die Nadel ablehnen, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und entmenschlicht werden. Wie konnte es so weit kommen? Wie konnten sich in Deutschland in kürzester Zeit Abgründe auftun, von denen man eigentlich gedacht hätte, dass sie überwunden wären? Quälende Fragen, die einer unserer Leserinnen schlaflose Nächte bereiteten. In ihrem Beitrag schüttet sie ihr von Corona-Restriktionen geschundenes Herz aus.
von Simone Theisen-Diether
Tränen rinnen über mein Gesicht, während ich versuche, Schlaf zu finden. Es sind bittere Tränen der Verzweiflung, Tränen der Hoffnungslosigkeit. Ich bin verzweifelt über den Zustand meines Landes, dessen Staatsbürgerin zu sein, mich früher stolz machte. Ich hatte keinen Grund, etwas in Zweifel zu ziehen. Das hat sich geändert, Corona hat alles verändert.
Ich habe eine chronische Erkrankung, genauer gesagt, eine seltene chronische Erkrankung. Die Kosten für die Behandlung trage ich zum Großteil selbst, da es bis heute nicht gelungen ist, das Krankheitsbild in vollem Umfang in die entsprechenden Richtlinien und Verordnungen aufzunehmen.
Ich werde damit alleine gelassen, so viel zum Thema „Solidarität“, die ja gerade so hoch gehängt wird.
Eine Petition, die diese unglücklichen Umstände ändern soll, liegt seit März 2021 beim Petitionsausschuss des Bundestages. Es ist okay, ich trage diese Kosten, auch wenn es keine Peanuts sind. Monatlich schlägt die Krankheit im Schnitt mit 300 Euro zu Buche. Es bleibt mir nichts anderes übrig, wenn es mir gut gehen soll. Eine Investition in die eigene Gesundheit, damit arrangiert man sich.
Aber nun soll ich ab Oktober auch noch dafür bezahlen, wenn ich meine Oma besuchen möchte. Es ist Schluss mit kostenlosen Schnelltests für Ungeimpfte. Degradiert zu Menschen zweiter Klasse, Ausgeschlossene im eigenen Land, werden wir nun auch noch zur Kasse gebeten. Ich bin fassungslos über so viel Geschmacklosigkeit und Kälte. Was wird so ein Test kosten? 25 Euro, oder mehr? Der Willkür scheinen keine Grenzen gesetzt.
Ich habe große Angst davor, was da auf mich zukommt. Die Anzahl der Besuche bei meiner 90-jährigen Oma hängt also vom Volumen meines Geldbeutels ab. Schönes neues Deutschland.
Letztes Jahr zur gleichen Zeit, hat es in der Regierung niemanden interessiert, ob und wie ich meine Oma besuche. Damals lebte sie noch in ihrer Wohnung, ungeimpft, logischerweise. Es war uns überlassen, wie wir uns schützen und auf uns aufpassen. Ganz eigenverantwortlich haben wir das hinbekommen. Und nun? Ich möchte nichts anderes, als meine Oma zu besuchen. Ich gehe mit frisch desinfizierten Händen, die Maske auf, geradewegs in ihr Zimmer, es gibt keinen Kontakt zu anderen Personen. Und auf direktem Weg zurück. Wo ist der Unterschied zu letztem Jahr? Ich passe immer noch gut auf und Oma ist auch schon längst geimpft.
Es ist nicht zu verstehen. Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke, dass ich meine Besuche demnächst reduzieren muss, weil auch mir kein Goldesel zur Verfügung steht. In einer Phase, wo jeder Besuch der letzte sein könnte. Anstatt zu ihr zu gehen, wenn mir danach ist, unterliege ich Regeln, die keinen Platz haben für Menschlichkeit. Ganz aktuell rudert jetzt der Sprecher des Gesundheitsministeriums zurück. Aber bei den vielen gebrochenen Versprechungen der letzten Zeit warte ich mit meiner Erleichterung lieber noch ab.
Der Ausweg aus dem Dilemma heißt „Impfen“, weil „damit bekommen wir ja unsere Freiheit zurück“. Es würgt mich, wenn ich solche fadenscheinige Propaganda höre. Es ist kaum auszuhalten. Von mir gibt es aktuell allerdings eine klare Absage ans Impfen.
Mein Ärmel bleibt unten, jetzt und sicherlich auch noch für lange Zeit.
Pfui, unsolidarisch bin ich und egoistisch. Nach neuester Definition gar unpatriotisch. Menschen, die so urteilen, machen es sich zu leicht. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, es gibt zahllose Grauschattierungen dazwischen. So, wie es vielleicht Gründe für die Impfung gibt, gibt es auch welche dagegen. Das hat gar nichts mit Impfverweigerung oder dergleichen zu tun. Ich habe eine Entscheidung getroffen und ich habe gute Gründe dafür. Die muss ich niemandem sagen, es ist privat und es ist mein gutes Recht. Dachte ich zumindest. Was tatsächlich noch mein gutes Recht ist, das hat sich in den letzten Monaten sehr aufgeweicht.
Einigkeit und Recht und Freiheit, nie zuvor hatte ich einen faderen Beigeschmack beim Hören der Deutschen Nationalhymne wie bei den kürzlich beendeten Olympischen Spielen.
Grundrechte gibt es nur für brave — sprich geimpfte — Bürger, Meinungsfreiheit gilt nur, wenn Big Tech die Meinung gefällt, und Demonstrationsrecht, das hat man nur noch, wenn das Thema passt. Eigenverantwortung ist abgeschafft und das Recht auf körperliche Unversehrtheit muss ich mir mit harten Restriktionen erkämpfen. All das macht mir Angst. Ich habe das Gefühl, in einem System der Willkür zu leben, in dem Fakten größtenteils ausgeblendet oder verdreht werden. All das, was Deutschland zu so einem lebenswerten Ort machte, verschwindet immer mehr.
Ich fühle mich vogelfrei, im übertragenen Sinne zum Abschuss freigegeben und es gibt niemanden, von dem man sich Hilfe erwarten könnte. Wohin soll man sich wenden?
In mir macht sich eine große Hoffnungslosigkeit breit, wohin steuert dieses Land? Ich bin verzweifelt, wenn ich sehe, wohin diese Politik die Gesellschaft getrieben hat. Wird sie sich jemals davon erholen? Die große Masse in Deutschland macht einfach mit. Manche mit „Ist-mir-egal-ich-bin-geimpft-Mentalität“, andere begrüßen es ganz unverblümt, dass der neue Feind der Gesellschaft nun zur Kasse gebeten und ausgegrenzt wird. Wenige gibt es, die ihre Stimme erheben und auf die Diskriminierung hinweisen. Dass es ausgerechnet in Deutschland so leicht war, diese Spaltung herbeizuführen, erschreckt zutiefst.
Eine gewisse Lebenserfahrung sagt mir, dass sich der Wind schneller drehen kann, als man denkt. Anders ausgedrückt: „Dann wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben.“ Wer heute noch lacht, diskriminiert, beschimpft oder einfach nur wegschaut, weil er nicht betroffen ist, der wird sich vielleicht schon bald wundern. Was kommt nach Corona? Vorausgesetzt, es wird ein „Nach Corona“ überhaupt geben. Vielleicht werden Pools im eigenen Garten verboten oder die Anzahl der Urlaubstage im Ausland reglementiert. Alles nur zum Wohle des Großen Ganzen. Umsetzbar mit Bußgeldandrohungen oder dergleichen. Klingt wie eine schlechte Fantasie, völlig abwegig? Ja, das dachte ich vor einem Jahr auch noch über meine körperliche Unversehrtheit.
Es wird immer Menschen geben, die von einer staatlichen Regelung mehr betroffen sind als andere. Handelt es sich um Regelungen, die dem Grundgesetz widersprechen, sollte man immer den Mund aufmachen. Schweigend dulden eröffnet nur die Möglichkeiten für neue Machtspiele. Eine Gesellschaft lässt sich nicht daran messen, wie sie bei eitel Sonnenschein zusammensteht, sondern daran, wie es um ihren Zusammenhalt in der Krise bestellt ist. Aktuell sieht es nicht gut aus. Das lässt mich verzweifeln und raubt mir den Schlaf. Einen kleinen Restfunken Hoffnung habe ich noch, sonst wären diese Zeilen gar nicht erst entstanden. Es ist an der Zeit, dass wir aufstehen, alle, ohne Unterschied.
Dieser Artikel erschien auf Rubikon am 24.08.2021 und ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.