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Januar 10, 2023

Regelbasierte Ordnung – das neue Völkerrecht

Die „Regelbasierte Ordnung“ ist nach dem Willen des Westens das neue Völkerrecht. Nicht jeder versteht das, obwohl es so einfach ist.

Regelbasierte Ordnung

Westliche Politiker und Medien gebrauchen in den letzten Jahren gern den Begriff „regelbasierte Ordnung“, wenn es um die Beziehungen von Staaten und Nationen untereinander geht.

Doch was ist unter dem Begriff zu verstehen?

Auf eine mündliche Frage des linken Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko zur Definition des Begriffs „regelbasierte Ordnung“ antwortete Staatsministers Michael Roth im Namen der Bundesregierung vor Jahren u.a.:

„Die ‚regelbasierte Ordnung‘ umfasst neben den rechtlich verbindlichen Normen des Völkerrechts auch rechtlich nicht bindende Normen, Standards und Verhaltensregeln. Dies sind zum Beispiel das pünktliche Zahlen von Beiträgen, die multilaterale Zusammenarbeit mit dem Ziel einer kooperativen Weltordnung oder informelle Zusammenschlüsse in Freundesgruppen oder Allianzen. Der politische Begriff bezieht sich zudem auf verschiedene internationale Foren und ihre Entscheidungsregeln sowie Verhandlungsprozesse.“

Doch scheinbar akzeptieren und verstehen das nicht alle. Deshalb warnte 2019 der damalige Bundesaußenminister Heiko Maas zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz:

„Die internationale Ordnung steht unter massivem Druck. Einige Akteure setzen verstärkt auf Machtpolitik und untergraben die Idee einer regelbasierten Ordnung, um das Recht des Stärkeren durchzusetzen.“

Russland (und wer noch?) hat wohl nicht recht verstanden, was eine „regelbasierte Ordnung“ ist. Darauf verwies gestern Larry Johnson in seinem Blog und zitierte aus einem Artikel des European Journal of International Law vom 16.07.2021:

„Bei diesen Treffen hat der Westen angeblich ‚das auf Regeln basierende Weltordnungskonzept‘ im Gegensatz zu den universellen Prinzipien des Völkerrechts, mit der UN-Charta als Hauptquelle, ‚zementiert‘. Der Haupteinwand Russlands ist der Mangel an Klarheit. Lawrow erklärt, der Westen scheue sich davor, die ‚Regeln‘, die er angeblich befolgt, zu benennen, ebenso wie er es unterlässt, zu erklären, warum sie notwendig sind.“

Deshalb sah sich Larry Johnson gestern endlich „gezwungen, Herrn Putin und Herrn Lawrow zu helfen, diese neuen Regeln zu verstehen, da sie sich selbst als verwirrt über den Inhalt dieser Regeln bekennen.“

Vier Regeln

„Regel Nr. 1: Keine inländische politische Oppositionsgruppe oder Partei hat das Recht, gegen eine Wahl zu protestieren oder Gewalt anzuwenden, um eine Regierung zu ändern. Aber es gibt ein paar Ausnahmen von dieser Regel. Wenn Sie amerikanische Kolonisten sind, die gegen Großbritannien rebellieren, dann sind Protest und Gewalt in Ordnung, solange Sie für Ihre eigene Freiheit kämpfen. Das Gleiche gilt für eine russische Organisation, die sich gegen Wladimir Putin auflehnt. Wenn Sie Iraner sind, die sich gegen die Mullahs auflehnen, dann ist das eine großartige Sache. Die Politik der Vereinigten Staaten ist in diesem Punkt ein wenig flexibel. Sie sind strikt dagegen, dass inländische politische Oppositionsparteien Proteste und Gewalt gegen eine ordnungsgemäß gewählte Regierung einsetzen, es sei denn, die Proteste und die Gewalt richten sich gegen den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch Anfang 2014 oder gegen Wladimir Putin. Dann ist es in Ordnung.

Regel Nr. 2: Wenn Washington den Mann oder die Frau an der Macht in einem fremden Land nicht mag, dann ist es in Ordnung, einen Mob zu entfesseln und ein paar Leute zu töten, um diesen Führer zu ersetzen. Aus diesem Grund war es für die Vereinigten Staaten ‚legal‘, in fremden Ländern zu intervenieren und Führer wie Saddam Hussein, Muammar Qaddafi und Manuel Noriega zu beseitigen. Die logische Folge dieser Regel ist, dass die Vereinigten Staaten auch das Recht haben, einen Bürgerkrieg in Syrien anzuzetteln, islamische Extremisten zu bewaffnen und Ölvorkommen für sich selbst zu beschlagnahmen. Irgendjemand muss für diese militärischen Abenteuer bezahlen.

Regel Nr. 3 – Es ist strengstens verboten, sich in die Wahlen in anderen Ländern einzumischen, es sei denn, es handelt sich um den Irak, Venezuela, Griechenland, die Ukraine, Pakistan und Israel. Die Vereinigten Staaten behalten sich das alleinige Recht vor, ausländische Oppositionsführer zu finanzieren, solange dies den Interessen Washingtons dient.

Regel Nr. 4 – Kein Land darf in ein anderes Land einmarschieren, es sei denn, der Führer des einmarschierenden Landes überzeugt seine Bürger davon, dass ein nationales Sicherheitsinteresse auf dem Spiel steht. Sobald man sich auf die nationale Sicherheit beruft, kann man in den Irak (zweimal), Afghanistan, Syrien, Vietnam, Panama, den Balkan, Somalia, die Dominikanische Republik, Mexiko und den Libanon einmarschieren. Wenn Sie die Vereinigten Staaten sind, brauchen Sie nicht die Erlaubnis der Vereinten Nationen.“

„Was Jupiter erlaubt ist…“

Im Sinne der „regelbasierten Ordnung“ habe auch das Friedensforschungsinstitut Oslo (PRIO) Vorbehalte gegenüber Russland. Denn „Russland hat gegen die grundlegenden Regeln des Völkerrechts verstoßen„.

„Putin behauptet, die NATO habe ihr Versprechen gebrochen, nicht nach Osten zu expandieren. Aber es wurde nie ein verbindliches Versprechen gegeben. Der entscheidende Beitrag des Völkerrechts in dieser Debatte ist auf jeden Fall, dass das Selbstbestimmungsrecht eines Staates auch das Recht der Ukraine einschließt, ihre Bündnisse selbst zu wählen…

Russland kann sich auch nicht auf das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta berufen, um sich gegen die NATO-Erweiterung zu verteidigen. Ein solches Recht auf präventive Selbstverteidigung ist im internationalen Recht nicht anerkannt.“

Johnson kommentiert dazu ebenfalls sarkastisch:

„Aber sicher! Auch wenn Sie sehen, dass ein Feind seine Streitkräfte an Ihrer Grenze aufbaut und militärische Übungen durchführt, können Sie nichts unternehmen, um ihn zu stoppen, solange er Sie nicht tatsächlich angreift. Die USA haben während der Kuba-Krise gegen diesen Grundsatz verstoßen. Sie hätten abwarten sollen, bis die Atomraketen vorbereitet und geladen waren.“

Das PRIO wendet sich auch gegen Präsident Putins „Lüge“ vom Genozid in der Ostukraine, mit der er seine Intervention rechtfertigt.

„Außerdem behauptet Russland, dass in der Ostukraine ein Völkermord an den Russen begangen wird. Doch Völkermord setzt die Absicht voraus, eine ethnische Gruppe teilweise oder vollständig auszurotten, und das ist offensichtlich nicht der Fall.“

Die Frankfurter Rundschau begründete das ebenfalls schon im März 2022 mit einem anderen Argument ganz klar diesn Verstoß gegen die „regelbasierte Ordnung“:

„Wie soll die ukrainische Armee einen Genozid in den Gebieten Donezk und Lugansk verüben, in denen seit acht Jahren kremltreue Separatisten die Kontrolle ausüben? Für einen Völkermord fehlen schlicht die Möglichkeiten.“

Na gut, das PRIO und die Frankfurter Rundschau konnte damals noch nicht wissen, dass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ehemalige Französische Präsident François Hollande ein Dreivierteljahr später einräumen, wie sie die Ukraine unterstützten, aus dem Westen die Mittel für einen Völkermord zu erhalten.

Mal abgesehen von Putins Lüge über den Völkermord, auch wenn er stattgefunden hat oder stattfände, hätte Russland tatenlos zusehen müssen, meint das PRIO:

„Und selbst wenn ein Völkermord stattgefunden hätte, hätte Russland nach dem Völkerrecht kein Recht, eine sogenannte humanitäre Intervention durchzuführen. Solche Interventionen müssen vom UN-Sicherheitsrat genehmigt werden (‚Responsibility to Protect‘).

Denn wie Johnson bestätigt, kann nur der UN-Sicherheitsrat einen Völkermord verhindern. Und wenn er einer Intervention nicht zustimmt, dann kann es sich eben nicht um einen Völkermord handeln. Ist doch klar – oder? „Das ist eine knifflige Logik, und man muss schon eine besondere Art von Degenerierter sein, um sie zu verstehen.“

Und wie ist das mit der Bitte der Donbassrepubliken an Russland, sie bei der Verteidigung gegen die Ukraine zu unterstützen?

Na ebenso klar, meint das PRIO:

„Putin kann sich auch nicht auf eine Einladung der beiden abtrünnigen Republiken berufen, um die Invasion zu rechtfertigen. Ein Recht auf Abspaltung könnte für diese beiden Regionen nur im Falle extremer Menschenrechtsverletzungen durch die Ukraine in Frage kommen, was wir nicht gesehen haben.“

Hier haben wir es, wie Johnson feststellt, mit einem absolut festen, in Stein gemeißelten Grundsatz zu tun – es sei denn, dass es sich um den Kosovo handelt.

„Wenn der Kosovo die NATO bittet, ihn von Serbien zu befreien, ist dieses Verbot nicht mehr gültig. Das Eingreifen der NATO hat Vorrang vor allem, was der UN-Sicherheitsrat beschließt.“

Welche Regeln gelten für die Beschlagnahme von Vermögen?

Wie sagte Staatsminister Roth? Die „regelbasierte Ordnung“ umfasst neben „rechtlich verbindlichen Normen des Völkerrechts auch rechtlich nicht bindende Normen, Standards und Verhaltensregeln.“ Trifft das auch auf Vermögen zu – und wenn dann mit welchen Folgen?

Der deutsche Rechtsanwalt und emeritierten Professor für Recht in Südafrika, Dr. André Thomashausen versucht zu erklären:


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Thomas Schulze


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