IPU – „Interparlamentarische Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit“
In Genf findet in dieser Woche die Konferenz der Parlamentspräsidenten aus aller Welt statt. Diese Konferenz organisiert alle fünf Jahre die Interparlamentarischen Union (IPU). Die IPU wurde Im letzten Viertel des 19. Jahrunderts von William Randal Cremer aus Großbritannien und Frédéric Passy aus Frankreich ins Leben gerufen als „Interparlamentarische Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit“. Im Juni 1889 fand dann die Gründungskonferenz statt. Im Jahr 2023 zählten zur IPU Parlamente aus 180 Mitgliedsstaaten sowie 15 assoziierte Mitglieder. Vor allem seit 2005 gibt es Bestrebungen, die IPU als „parlamentarischen Arm“ in die Vereinten Nationen zu integrieren.
An der Beratung in Genf 2025 nimmt auch Valentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates (des russischen „Oberhauses“) teil. Matwijenko steht auf den westlichen Sanktionslisten. Die Schweiz hat ihr jedoch für die Teilnahme an dieser internationalen Veranstaltung eine Ausnahmegenehmigung erteilt.
Matwijenko hatte Gelegenheit, am 28. Juli zum „Frauengipfel“ und 30. Juli auf der IPU-Konferenz die russische Position zu den Zielen und Aktionen der IPU darzulegen. Die westlichen Medien berichteteten darüber beispielsweise:
- 20min.ch, 30.07.2025: „‚Schändliche Einladung‘: Putin-Vertraute sorgt für Eklat in Genf“
- FAZ, 29.07.2025: „Freie Fahrt für russische Propaganda in der Schweiz“
- SRF, 30. 07. 2025: „Trotz Sanktionsliste: Putin-Vertraute hält Rede in der Schweiz“
- Blick.ch, 30. 07. 2025: „Matwijenko in Genf: Empörung über Auftritt von Putin-Vertrauter
- Berliner Morgenspost, 30. 07. 2025: „Als die mächtigste Frau Russlands kommt, verlässt Klöckner den Saal“
- oe24.at, 28. 07. 2025: „Mächtigste Frau Russlands: Warnung vor 3. Weltkrieg“
Unter dem Titel „Bundestagspräsidentin Klöckner verlässt aus Protest Konferenzsaal“ schrieb der SPIEGEL am 30. 07. 2025:
„Matwijenko hatte einen Auftritt vor kleinerem Publikum am Montag schon genutzt, um die Ukraine zu verunglimpfen. Ihr Auftritt im Westen wurde in Russland teils als Propagandaerfolg verbucht … So behauptete sie, dass Europa von einer neuen faschistischen Welle erfasst worden sei. Erst die westliche Unterstützung ‚ukrainischer Nazis‘ habe es der Ukraine ermöglicht, eine radikale terroristische Bewegung zu schaffen, die ‚abscheuliche Angriffe auf unbewaffnete Zivilisten‘ verübe. Die Erfahrung zweier Weltkriege müsse Warnung vor einem dritten Weltkrieg sein.‘
Wer die Schlagzeilen und den Kommentar selbst mit den Reden von Matwijenko vergleichen will, kann nachfolgend ihre kurzen Reden lesen:
Übersetzung der Rede vom Montag:
Sehr geehrte Frau Tulia Ackson, liebe Vorsitzende, Kollegen und Freunde. Unter den Bedingungen globaler Herausforderungen ist die für den Frauengipfel vorgeschlagene Tagesordnung sehr aktuell. Vielen Dank, sehr geehrte Frau Vorsitzende, dass Sie eine Atmosphäre des offenen und konstruktiven Dialogs geschaffen haben.
Als der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1325 verabschiedet hat, meinte man, wir würden in einer Nachkriegszeit leben. Heute spricht man alarmiert von einer Vorkriegszeit. Das sagen diejenigen, die den Willen und die Stimme des Volkes, Ihre und unsere Stimme, nicht hören, schließlich stellen Frauen die Hälfte der menschlichen Zivilisation.
Man sagt, dass der Krieg kein weibliches Antlitz hat, was bedeutet, dass der Frieden auf jeden Fall ein weibliches Antlitz haben muss. Wir haben die Erfahrungen von zwei Weltkriegen. Die Menschheit hat kein Recht auf Lähmung. Einige Politiker sprechen bereits ernsthaft darüber, wie man eine nukleare Apokalypse überlebt, und nicht darüber, wie man sie verhindern kann, um das schlimmste Szenario abzuwenden.
Gemäß den Resolutionen 1325 des Sicherheitsrats stellen Frauen und Kinder die überwiegende Mehrheit der Opfer bewaffneter Konflikte, deren Zahl sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat. Es ist an der Zeit, entschieden für den Frieden für uns und unsere Kinder einzutreten.
Die Resolution fordert die Gewährleistung der Beteiligung von Frauen und an der Lösung von Konflikten. Wurde das in der Praxis umgesetzt? Leider nicht.
Ich schlage vor, diese Forderung im Abschlussdokument unseres Treffens zu bekräftigen und zu fordern: Kein Wettrüsten, Zusammenarbeit statt Sanktionen, unteilbare Sicherheit statt Ausweitung militärischer Allianzen, Ausweitung des Entwicklungsweges jedes einzelnen Volkes statt Interventionen.
Es ist die Zeit derer gekommen, die der Menschheit helfen können, den richtigen Weg zum Frieden zu finden. Die russischen Frauen sind zu dieser gemeinsamen Arbeit bis zum Ende bereit.
Ich rufe alle auf, immer ehrlich zu sein und einander die Wahrheit zu sagen. Lassen Sie sich bei Ihren Einschätzungen von Fakten leiten und reproduzieren Sie nicht blind die anti-russische Rhetorik, die im Rahmen des gegen Russland erklärten Informationskrieges geführt wird.
Und die Wahrheit ist, dass der Konflikt in der Ukraine 2014 nach einem blutigen, verfassungswidrigen Putsch unter Beteiligung einer Reihe von Staaten ausgebrochen ist. Und danach sind Nazis an die Macht gekommen, die die russische Sprache in der Ukraine verboten haben und so weiter.
Und es war Russland, das ab 2014 acht Jahre lang zum Frieden aufrief, zu einer friedlichen diplomatischen Lösung des innerukrainischen Konflikts. Im Rahmen der Minsker Vereinbarungen hat das Kiewer-Regime acht Jahre lang Wohngebiete im Donbass beschossen. 14.000 Kinder und Jugendliche wurden in dieser Zeit getötet. Kommen Sie bitte in den Donbass. Schauen Sie sich die Allee der Engel an, die dem Gedenken an diese ermordeten Kinder gewidmet ist.
Russland war gezwungen einzugreifen, um das Blutvergießen zu beenden, um die Ermordung von Zivilisten zu stoppen. Gestern wurde im Donbass am Gedenktag der Kinder aller im Donbass Getöteten gedacht. Ich rufe immer dazu auf, die Wahrheit zu sagen und sich von Fakten und nicht von erfundenen Geschichten leiten zu lassen. Danke.
Kommen wir nun zu der , die Matwijenko heute gehalten hat, über die der Spiegel in seinem Artikel kein einziges Wort berichtet, sondern nur geschrieben hat, sie würde „Lügen und Propaganda“ verbreiten.
Übersetzung der Rede vom Mittwoch:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, zunächst möchte ich mich bei der Interparlamentarischen Union und ihrer Vorsitzenden Frau Tulia Ackson für die Konferenz der Parlamentspräsidenten und für die wunderbare Organisation bedanken, vielen Dank an die Schweiz für die Gastfreundschaft. In zwei Tagen, am 1. August, feiern sie übrigens den Nationalfeiertag, den Gründungstag der Eidgenossenschaft. Ich bin gratuliere Ihnen dazu und bitte Sie, sich mir dabei anzuschließen (Applaus im Saal).
In den 80 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Lage der Welt nicht mehr so alarmierend: enorme Ausgaben für Waffen statt nachhaltige Entwicklung und Umsetzung der Klimaagenda, Sanktionen statt Handel, Ultimaten statt Diplomatie, militärische Koalitionen statt Integration.
Das ist die Realität, in der wir heute leben. Umso wichtiger ist die Mission der parlamentarischen Diplomatie, wie die Gründer der Internationalen Parlamentarischen Union 1889 meinten. Ihr Ziel ist die Beilegung von Konflikten. Es ist Zeit, sich den Ursprüngen zuzuwenden und die parlamentarische Diplomatie wieder auf ihre Mission, zur Lösung internationaler Konflikte, zurückzuführen.
Konflikte entstehen aus angehäuften Problemen und Widersprüchen. Ohne Beseitigung der Ursachen werden sie erneut aufflammen, wie im Nahen Osten, wo versucht wird, die langjährige Konfrontation mit Benzin in Form von Angriffen mit Raketen zu beenden, anstatt die bekannten Resolutionen des UN-Sicherheitsrats umzusetzen. Das sind die Hauptursachen der meisten Konflikte.
Es ist offensichtlich, dass hier die Widersprüche zwischen den Grundsätzen des Völkerrechts, insbesondere zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und der territorialen Integrität der Staaten, deutlich werden.
Ich möchte vorschlagen, diese Widersprüche im Abschlussdokument unserer Konferenz festzuhalten, denn die eigene Auslegung von Recht und Prinzipien ist ein Perpetuum mobile, das die absolute Unzulässigkeit von Versuchen unterstreicht, das Völkerrecht zu ersetzen.
Diese Widersprüche sind:
Erstens: Das Völkerrecht durch eine regelbasierte Ordnung zu ersetzen, deren Regeln niemand gesehen und die erst recht niemand bestätigt hat.
Zweitens: Der Widerspruch zwischen dem Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit und dem Recht von Staaten, sich Militärblöcken anzuschließen, wobei, die Aktivitäten der Militärblöcke selbst rechtlich nicht geregelt sind.
Drittens: Das Prinzip der souveränen Gleichheit der UN-Mitgliedsstaaten wird nicht umgesetzt. Sanktionen der Starken gegen die Schwachen und Militärinterventionen sind Zeichen der Ungleichheit und auch des Neokolonialismus. Es ist Zeit, die Dinge bei ihrem Namen zu nennen: Es gibt keine humanitären Interventionen, sondern Aggressionen, die zu Katastrophen führen, aber nicht zu Demokratie.
Viertens: Wenn interreligiöse und interethnische Konflikte nicht gelöst, sondern von den Regierungen verschärft werden, brechen sie aus.
Auf der 137. Versammlung der Interparlamentarischen Union haben wir die St. Petersburger Erklärung zur Förderung des kulturellen Pluralismus durch einen interreligiösen und interethnischen Dialog verabschiedet. Wir haben uns damals zur Aktivierung von Vermittlung und parlamentarischer Diplomatie auf nationaler und globaler Ebene zur Beilegung interreligiöser und interethnischer Konflikte verpflichtet, um der Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten entgegenzuwirken.
Wenn wir die Umsetzung dieser Vorhaben erreicht hätten, hätten wir in den meisten Fällen Blutvergießen vermeiden können.
Alle heutigen Konflikte, einschließlich des ukrainischen, haben nur dann eine Chance auf eine Lösung, wenn ihre Ursachen beseitigt werden. Es ist an der Zeit, die diplomatischen Ressourcen voll auszuschöpfen. Und zwar vor allem die Ressourcen internationaler Organisationen, die müssen, wie es die Interparlamentarische Union oder die Vereinigung BRICS tun, allen dienen und auf universellen demokratischen Prinzipien beruhen, anstatt den Interessen einzelner Staatengruppen zu dienen und Doppelstandards zu bedienen. Ich wünsche allen Teilnehmern eine fruchtbare Arbeit und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ende der Übersetzung (beide Übersetzungen von Thomas Röper)