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September 10, 2024

Friedrich Schorlemmer – ein Oppositioneller im „Unrechtsstaat“?

Friedrich Schorlemmer, evangelischer Theologe und DDR-Bürgerrechtler, starb im Alter von 80 Jahren. Der Friedensbewegung gab er viele Impulse.

Friedrich Schorlemmer - ein Kopf der oppositionellen Friedensbewegung.

Friedrich Schorlemmer, evangelischer Theologe und DDR-Bürgerrechtler, starb im Alter von 80 Jahren. Er galt in der DDR als wegweisender Kopf einer oppositionellen Friedensbewegung in den 1980-Jahren. Aufsehen erregte er unter anderem, als er auf dem Kirchentag 1983 in Wittenberg in Anwesenheit von Richard von Weizsäcker symbolisch ein Schwert zu einer Pflugschar umschmieden ließ. Er verurteilte die von den USA geführte Intervention Operation Enduring Freedom in Afghanistankrieg ab 2001 und die ebenfalls von den USA geführte "Koalition der Willigen" gegen den Irak 2003. Schwerter zu Pflugscharen ist ein Teilzitat aus der Bibel. Der sowjetische Bildhauer Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch, der 1949 das Sowjetische Ehrenmahl im Treptower Park in Berlin geschaffen hatte, schuf 1957 zu diesem biblischen Motiv eine Bronzeplastik. Diese schenkte im Dezember 1959 die Sowjetunion der UNO. Friedrich Schorlemmer gehörte vor allem in den 80er und 90er Jahren zu den bekanntesten Kritikern der DDR. 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der Partei "Demokratischer Aufbruch" in der DDR. Am 4. November 1989 war er einer der Redner auf der Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz. Doch als Kritiker der DDR hatte er ein viel differenzierteres Verständnis des ostdeutschen Staates, als viele andere innerhalb und außerhalb der DDR. Friedrich Schorlemmer starb am 09. September 2024 nach langer Krankheit im Alter von 80 Jahren in einem Berliner Pflegeheim

Aufruf "Für unser Land"

Wenige Wochen nach der Rede auf dem Berliner Alexanderplatz veröffentlichten am 28. November 1989 Kulturschaffende den Aufruf: "Für unser Land". Zu den 31 Unterzeichnern, die damit für den unbedingten Erhalt der DDR plädierten, gehörte auch Friedrich Schorlemmer:
Für unser Land Unser Land steckt in einer tiefen Krise. Wie wir bisher gelebt haben, können und wollen wir nicht mehr leben. Die Führung einer Partei hatte sich die Herrschaft über das Volk und seine Vertretungen angemaßt, vom Stalinismus geprägte Strukturen hatten alle Lebensbereiche durchdrungen. Gewaltfrei, durch Massendemonstrationen hat das Volk den Prozeß der revolutionären Erneuerung erzwungen, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht. Uns bleibt nur wenig Zeit, auf die verschiedenen Möglichkeiten Einfluß zu nehmen, die sich als Auswege aus der Krise anbieten. Entweder können wir auf der Eigenständigkeit der DDR bestehen und versuchen, mit allen unseren Kräften und in Zusammenarbeit mit denjenigen Staaten und Interessengruppen, die dazu bereit sind, in unserem Land eine solidarische Gesellschaft zu entwickeln, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind. Oder wir müssen dulden, daß, veranlaßt durch starke ökonomische Zwänge und durch unzumutbare Bedingungen, an die einflußreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik ihre Hilfe für die DDR knüpfen, ein Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte beginnt und über kurz oder lang die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik Deutschland vereinnahmt wird. Laßt uns den ersten Weg gehen. Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind. Alle Bürgerinnen und Bürger, die unsere Hoffnung und unsere Sorge teilen, rufen wir auf, sich diesem Appell durch ihre Unterschrift anzuschließen.

Furchtbares Unrecht heißt nicht "Unrechtsstaat"

Am 07. November 2014 veröffentlichte die Süddeutsche einen Gastbeitrag Friedrich Schorlemmers. Darin begründete er, warum und wie er das Unrecht in der DDR beurteilte:
"In der DDR geschah furchtbares Unrecht. Doch wer sie als Ganzes zum Unrechtsstaat erklärt, kann zu keiner differenzierten Betrachtung des Lebens in diesem Land gelangen. Er pflegt lediglich alte Feindbilder und entschuldigt die Feiglinge von einst."
Schorlemmer verdeutlicht gerade auch an bestimmten - keinesfalls vollständigen - gesetzlichen Regelungen und eigener Lebensgestaltung, dass es in der DDR auch Gesetze gab, auf die die Bürger im westlichen Teil Deutschlands heute noch nicht hoffen können.
"Würde nun über 40 Jahre DDR einfach die Definition "Unrechtstaat" gesetzt, wären auch das Familien- und das Arbeitsrecht zum Unrechtsstaatsrecht erklärt, die Gesetze zum Schutz der Jugend, das Recht auf Bildung und Kultur, alles, was in der DDR rechtlich geregelt war. Es besteht wahrlich kein Anlass, das Repressions- und Spitzelsystem zu beschönigen und zu relativieren. Doch so, wie es den einen Zukunftschancen verstellte, so eröffnete es aber auch vielen neue Bildungswege... Trotzdem kann ich nicht sagen, dass ich in toto in einem Unrechtstaat gelebt, geheiratet, Kinder bekommen hätte. Ich habe umsorgt im Krankenhaus gelegen, ein Theologiestudium an einer staatlichen Universität abgeschlossen, den Führerschein gemacht, eine Wohnung zugewiesen bekommen. Im Geistig-Kulturellen habe ich mir, wie viele andere, Freiheiten erkämpft, gegen Druck und Diffamierung. Das Widerspenstige und Widerständige konnte man in der DDR manchmal geradezu genießen. Man konnte das Aufrechtgehen lernen."
Ja, es gab nicht nur bis zum "Mauerbau" 1961, sondern auch am Ende der 80er Jahre viele Bürger, die aus der DDR flohen. Verständlicherweise wollten sie besser leben. Das Schaufenster des Westens brachte täglich die Begehrlichkeiten des Konsums per Funk und Fernsehen in den Osten. "Nur sollte man da nicht das Etikett 'Freiheit' verwenden." Schorlemmer hat nie die DDR schöngefärbt. Im Gegenteil forderte er unermüdlich, Unrecht zu kritisieren:
"Das alles muss man benennen, kritisieren, verurteilen - doch ohne die Generalverdammungskeule Unrechtstaat zu gebrauchen. Diese Generaldelegitimation mag immer noch das Bedürfnis nach einem Feindbild befriedigen. Sie birgt aber die Gefahr, dass die DDR auf eine Stufe mit dem Nationalsozialismus gesetzt wird, was eine Verharmlosung von Judenmord und Angriffskrieg wäre."
 

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Thomas Schulze


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Ihr Thomas Schulze