September 25, 2022

Friedensnoten gegen den Krieg

Die Welt im Fieber

Die Karat-Single „Der blaue Planet“ aus dem Kalten Krieg ist heute wieder erschreckend aktuell. von Maren Müller Die legendäre Single „Der blaue Planet“ und das gleichnamige Album der erfolgreichen DDR-Band Karat erschienen am 20. März 1982 — das Album kam in beiden deutschen Staaten heraus. Im gleichen Jahr scheiterten die Genfer Abrüstungsverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion über den Abbau von Mittelstreckenraketen. Unter Ronald Reagan stiegen die zuvor reduzierten Rüstungsausgaben der USA auf Rekordniveau und die Stationierung neuer Raketen auf westdeutschem Boden rückte näher. Die Proteste der Friedensbewegung befanden sich in einer Phase größter Zustimmung, denn die Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland war laut Umfragen gegen die Stationierung. Ein Text zu der Aktion #Friedensnoten. Am 22. November 1983 billigte der Bundestag die Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in der BRD. Mehrere Hunderttausend Menschen, darunter Soldaten der Bundeswehr in Uniform, protestierten am 22. Oktober 1983 auf der Bonner Hofgartenwiese gegen den NATO-Doppelbeschluss. Die Grünen, die damals noch für Abrüstung standen, erhielten massiven Zulauf, konnten im März 1983 in den Bundestag einziehen und sich als neue politische Kraft auf Bundes- und Länderebene etablieren. Ein paar Jahre später brachten die Grünen als Regierungspartei die ersten deutschen Kriegseinsätze seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf den Weg. Am 6. und 9. August 2022 jährten sich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 77. Mal. Am Morgen des 6. August 1945 ließen US-Bomber eine Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima detonieren — angeblich, um das Land zur Kapitulation im Zweiten Weltkrieg zu zwingen. 78.000 Menschen waren auf der Stelle tot, weitere 122.000 starben an den Folgen der Explosion. Drei Tage später zerstörte die zweite Bombe die Stadt Nagasaki und tötete 70.000 Menschen. Bis heute sterben damalige Einwohner und ihre Nachkommen an Krebserkrankungen als Langzeitfolge der Strahlung. Einer Studie zufolge waren 9 Prozent der Krebserkrankungen, die von 1950 bis 1990 bei Überlebenden auftraten, eine Folge des Abwurfs. Auch das Sterben und die Folgeschäden bei Neugeborenen hielten über Jahrzehnte an.
Bis heute hat sich kein US-Präsident bei den Japanern für die Atombombenabwürfe entschuldigt.
Die denkbar größte reale Gefahr in Bezug auf nuklearen Terrorismus ging bislang von den USA aus. Sie haben seit Jahrzehnten in beispiellosem Maß nukleare, geächtete und konventionelle Angriffe auf zivile Ziele verübt, irreparable Verheerungen bei Atomtests im Pazifik angerichtet und Kriegsgründe inszeniert wie kein anderes Land jemals zuvor. 66 nukleare Sprengkörper ließen die USA zwischen 1946 und 1958 auf den Marshallinseln explodieren, das entspricht 1,6 Hiroshimas jeden einzelnen Tag — zwölf Jahre lang. Bikini ist heute tot, mutiert und verstrahlt. Die Palmen wachsen mit einem seltsamen Muster. Nichts bewegt sich. Es gibt keine Vögel. Die Grabsteine auf dem alten Friedhof strahlen. Die Obama-Regierung ließ noch mehr Nuklearwaffen bauen, weitere Atomsprengköpfe, weitere nukleare Trägersysteme, noch mehr Nuklearanlagen. Die Ausgaben allein für atomare Sprengköpfe stiegen unter Barack Obama höher als unter jedem anderen Präsidenten. Die Kosten betrugen über 30 Jahre mehr als eine Billion Dollar. Mit Zustimmung des Bundestags werden seit 2020 B61-4-Bomben modernisiert und bis 2025 nach und nach in den Dienst gestellt. Bis 2020 sollte die erste der B61-12 fertiggestellt, weitere vier Jahre später sollte die Produktion abgeschlossen und die alten Bomben abgelöst sein — sowohl in den USA, in Europa und im deutschen Eifeldörfchen Büchel, auf dessen Fliegerhorst noch immer bis zu 20 US-Atombomben vom Typ B61 gelagert sind. Wenn Staaten, die eigentlich keine eigenen Atomwaffen besitzen, den Einsatz dieser Waffen im Rahmen der NATO-Praxis der nuklearen Teilhabe auf dem eigenen Territorium üben, so liegt eine Verletzung der Artikel 1 und 2 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen vor. Im Zwei-plus-vier-Vertrag hatte das wiedervereinte Deutschland bekräftigt, auf Herstellung und Besitz von Atomwaffen verzichten zu wollen. Artikel I Jeder Kernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonst wie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen. Artikel II Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen. Mitte Juni 2017 bekräftigte Außenminister Sigmar Gabriel hingegen die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland sowie eine gleichgewichtige nukleare Abschreckung gegenüber Russland. Ehrlicherweise könne man dann nicht hinter einem Atomwaffenverbot stehen. Im Koalitionsvertrag von März 2018 zum Kabinett Merkel IV heißt es in Fortsetzung dieser politischen Linie: „Wir setzen uns entschlossen für die weltweite verifizierbare Abrüstung von allen Massenvernichtungswaffen ein (...) Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“ Noch nicht richtig im Amt brachte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock ihre militaristischen Ambitionen in einem Gespräch mit der taz auf den Punkt. „Genau diese Frage der Atomwaffen macht deutlich, dass wir in Zukunft wieder eine aktive deutsche Außenpolitik betreiben werden, die sich den Dilemmata der globalen Politik stellt. Wir stehen zu unserer Verantwortung im Rahmen von NATO und EU und auch zur nuklearen Teilhabe.“ Und fügte hinzu: „Perspektivisch machen wir die Welt aber nur sicherer, wenn wir zu einer Reduzierung von Atomwaffen kommen. Deswegen wollen wir als zukünftige Regierung die Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und Russland unterstützen und die Inhalte des Atomwaffenverbotsvertrags als Beobachter konstruktiv begleiten.“ Deutschlands „Beobachterstatus“ macht Baerbocks vollmundige Ankündigung natürlich zunichte, denn keine einzige Atommacht hat diesen Vertrag ratifiziert und auch das „nuklear teilhabende“ Deutschland nicht. Denn die Unterzeichner verpflichten sich nicht nur, Atomwaffen weder zu entwickeln noch anzunehmen, sondern auch, sie nicht bei sich zu stationieren, mit ihnen zu drohen oder sie gar einzusetzen. Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition vom November 2021 heißt es daher auch, man werde „als Beobachter bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten“. Baerbock bekräftigt die Forderung der Ampel nach Beschaffung neuer atomwaffenfähiger Kampfflugzeuge: „Wir müssen das Nachfolgesystem für den Tornado beschaffen, weil die konventionellen Fähigkeiten ersetzt werden müssen. Es handelt sich also nicht allein um sogenannte Atombomber. Über die Frage der nuklearen Zertifizierung werden wir dann weiter sprechen müssen.“ Im Rahmen des 100 Milliarden Euro Aufrüstungsprogramms für die nukleare Teilhabe kauft Deutschland nun in den USA die modernsten verfügbaren atomaren Trägerwaffen vom Typ F 35 Tarnkappenbomber. Sowohl die USA als auch Deutschland verletzen in dem Augenblick, in dem Piloten des Jagdgeschwaders 33 in Büchel die dort stationierten US-amerikanischen Atomwaffen übernehmen, den Nichtverbreitungsvertrag. Den USA ist es nach dem Nichtverbreitungsvertrag verboten, Atomwaffen an einen Nichtatomwaffenstaat zu übergeben, und Deutschland ist als Nichtatomwaffenstaat die Annahme verboten. Diese apokalyptische Zeitreise zeigt auf, dass wir heute weiter von Frieden und Abrüstung entfernt sind als vor 40 Jahren und der „Blaue Planet“ mehr denn je in Gefahr ist.
Die Grünen — einst als pazifistische Partei angetreten — entpuppen sich mehr und mehr als bellizistische und zerstörerische Kraft, die Deutschland wieder zu unverantwortlichen kriegerischen Auseinandersetzungen führt.
Aus den vernichtenden Erfahrungen des Dritten Reiches heraus wollten die Gründerväter die Bundesrepublik Deutschland zu einem Rechtsstaat machen, der mit anderen Ländern friedlich koexistiert. Von deutschem Boden sollte nie wieder ein Krieg ausgehen. Die Hauptlast des letzten deutschen Vernichtungsfeldzuges trugen die Völker der Sowjetunion. Um die 13 Millionen Soldaten kamen auf sowjetischer Seite ums Leben. Von insgesamt mehr als fünf Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben bis Kriegsende drei Millionen in deutscher Gefangenschaft. Dazu kommen mehr als zwei Millionen ermordete sowjetische Juden und sechs bis zehn Millionen weitere Zivilisten. Die Zahl von 27.000.000 sowjetischen Kriegstoten ist in historischen Dokumenten belegt. Eine immense Größenordnung und eine gigantische Schuld. Der Gesamtwert der im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis zum 1. August 2022 von der Bundesregierung erteilten Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern zur Unterstützung der Ukraine beträgt 661.226.068 Euro.
Deutschland tötet — wenn auch nur indirekt — wieder Russen.
Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten …
Karat — „Der blaue Planet“
„Tanzt unsere Welt mit sich selbst schon im Fieber? Liegt unser Glück nur im Spiel der Neutronen? Wird dieser Kuss und das Wort, das ich dir gestern gab Schon das Letzte sein? Wird nur noch Staub und Gestein ausgebrannt alle Zeit Auf der Erde sein? Uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten Fliegt morgen früh um halb drei nur ein Fluch und ein Schrei Durch die Finsternis? Muss dieser Kuss und das Wort, was ich dir gestern gab Schon das Letzte sein? Soll unser Kind, das die Welt noch nicht kennt Alle Zeit ungeboren sein? Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten“

Medienpartner

Nacktes Niveau (Paul Brandenburg), Punkt.preradovic, Kaiser TV, Hinter den Schlagzeilen, Demokratischer Widerstand, Eugen Zentner (Kulturzentner), rationalgalerie (Uli Gellermann), Protestnoten, Radio München (Eva Schmidt), Basta Berlin, Kontrafunk und Ständige Publikumskonferenz. Weitere können folgen.

Ablauf

Samstag 9.7.2022 SONG Fortunate Son (Creedence Clearwater Revival) TEXT Marcus Klöckner, Die Doppelmoral der Kriegsmacher — zur Aktion Friedensnoten Samstag 15.7.2022 SONG Redemption Song (Bob Marley) TEXT Jens Fischer Rodrian, Botschafter für eine gerechte Welt — zur Aktion Friedensnoten Samstag 23.7.2022 SONG Friedensbewegung (Kilez More) TEXT Eugen Zentner, Liebe und Leidenschaft — zur Aktion Friedensnoten Samstag 30.7.2022 SONG Es ist an der Zeit (Hannes Wader) TEXT Roland Rottenfußer, Der wirkliche Feind — zur Aktion Friedensnoten Samstag 6.8.2022 SONG War — what is it good for? (Edwin Starr) TEXT Lüül, Wozu ist Krieg gut? — zur Aktion Friedensnoten Samstag 13.8.2022 SONG Another brick in the wall (Pink Floyd) TEXT Alexa Rodrian, Der Ziegel in der Wand — zur Aktion Friedensnoten Samstag 20.8.2022 SONG Anthem (Leonard Cohen) TEXT Madita Hampe, Durch alles geht ein Riss — zur Aktion Friedensnoten Samstag 27.8.2022 SONG Feeding off the love of the land (Stevie Wonder) TEXT Nina Maleika, Zurück zur Verbundenheit — zur Aktion Friedensnoten Samstag 03.9.2022 SONG Drei Kreuze für Deutschland (Prinz Pi) TEXT Nicolas Riedl, Der Sog des Krieges — zur Aktion Friedensnoten Samstag 10.09.2022 SONG Masters of war (Bob Dylan) TEXT Wolfgang Wodarg, Meister der Kriege — Zur Aktion Friedensnoten Samstag 24.09.2022 SONG Masters of war (Bob Dylan) TEXT Maren Müller, Die Welt im Fieber — Zur Aktion Friedensnoten
Dieser Artikel erschien auf Rubikon am 24.09.2022 und ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen. Beiträge und Artikel anderer Autoren müssen nicht die Sichtweise der Webseiteninhabers widerspiegeln, sondern dienen nur der vergleichenden Information und Anregung zur eigenen Meinungsbildung.

Wie aufschlussreich fanden Sie diesen Artikel?

Friedensnoten gegen den Krieg: 5,00 von 5 Punkten, basieren auf 1) abgegebenen Stimmen.
Loading...

Ähnliche Beiträge

Thomas Schulze


Mit den Beiträgen will ich helfen, anhand ausgewählter Beiträge besser zu verstehen, "was die Welt im Innersten zusammenhält"

Ihr Thomas Schulze